Die Bernauer Straße
Die Mauer in der Bernauer Straße
Die Bernauer Straße an der Grenze zwischen den Berliner Stadtbezirken Wedding und Mitte war ein Brennpunkt der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte. Der Bau der Berliner Mauer und seine Folgen für die Bewohner der geteilten Stadt wurden hier besonders dramatisch erlebt. Die Geschichte dieser Straße zeigt exemplarisch die Auswirkungen des Mauerbaus: die Zerstörung von Stadtraum und Lebenswegen, die Trennung von Familienangehörigen und Freunden. Sie dokumentiert die Versuche, der Diktatur durch Flucht in den Westen zu entkommen oder gegen deren Herrschaftsanspruch Fluchthilfe zu leisten. Der Ort zeigt die herausragende Funktion der Mauer im Herrschaftsgefüge der SED, das Funktionieren des Mauerregimes im Alltag und lässt die tiefe Diskrepanz zwischen Bevölkerung und Staatsführung der DDR unübersehbar zu Tage treten.
Die geteilte Straße
In der Bernauer Straße verlief die Grenze entlang der Häuserfront der auf Ost-Berliner Gebiet stehenden Grenzhäuser. Viele Bewohner dieser Grenzhäuser entschlossen sich nach den Sperrmaßnahmen spontan zur Flucht. Sie seilten sich aus ihren Wohnungen ab oder sprangen in die bereitgehaltenen Sprungtücher der West-Berliner Feuerwehr. Einige verletzten sich dabei schwer, auch die ersten Todesopfer des Grenzregimes waren hier zu beklagen. Wenige Wochen nach dem Mauerbau wurden die Häuser geräumt, die verbliebenen Bewohner zwangsumgesiedelt und Fenster und Türen vermauert.
Hier entstand das weltberühmte Foto von dem Grenzpolizisten Conrad Schumann bei seinem Sprung über den Stacheldraht am 15. August 1961, noch 2 Tage nach dem Bau der Berliner Mauer. Mit Protest und Widerstand lehnte sich die Bevölkerung gegen die Absperrungen auf, die bekanntesten und erfolgreichsten Fluchttunnel wurden hier gegraben. Auch die Sprengung der Versöhnungskirche, die seit dem Mauerbau unzugänglich im Todesstreifen stand, verlieh der Bernauer Straße traurige Berühmtheit.
Der Mauerfall
Die Bernauer Straße ist auch ein Erinnerungsort für die friedliche Überwindung der Teilung: In der Nacht vom 10. zum 11. November 1989 wurden zwischen der Bernauer Straße und der Eberswalder Straße die ersten Segmente aus der Mauer gebrochen, um einen neuen Übergang zwischen Ost- und West-Berlin zu schaffen. Auch der offizielle Abriss der Grenzanlagen wurde im Juni 1990 an der Bernauer Straße, Ecke Ackerstraße begonnen. Heute befindet sich an diesem historischen Ort die Gedenkstätte Berliner Mauer.
Im Umfeld der Gedenkstätte Berliner Mauer starben zehn Menschen im Zusammenhang mit dem Grenzregime der DDR. Alle Todesfälle ereignen sich in den 1960er Jahren. Neun Betroffene erleiden tödliche Verletzungen bei dem Versuch, die Mauer zu überwinden: Vier werden von Grenzposten erschossen und fünf verunglücken bei Sprüngen aus den Grenzhäusern an der Bernauer Straße. Bei einem Todesopfer handelt es sich um einen Grenzsoldaten, der in einem Schusswechsel zwischen Grenzposten und einem Fluchthelfer stirbt.
Dieter Brandes (1946–1966)
Dieter Brandes erleidet bei seinem Fluchtversuch am 9. Juni 1965 auf dem Gelände des Nordbahnhofs schwere Schussverletzungen und erliegt seinen Verletzungen am 11. Januar 1966.
Heinz Cyrus (1936–1965)
Verfolgt von Grenzsoldaten, verletzt sich Heinz Cyrus am 10. November 1965 beim Sprung oder Sturz aus der 4. Etage des Grenzhauses Gartenstraße 85 schwer. Er stirbt einen Tag später an den Folgen seiner Verletzungen.
Leo Lis (1924–1969)
Leo Lis wird bei seinem Fluchtversuch in der Nähe des Nordbahnhofs am 20. September 1969 von Grenzsoldaten beschossen und tödlich getroffen.
Bernd Lünser (1939–1961)
Bernd Lünser verletzt sich – nach einem Handgemenge mit Grenzposten – bei einem Sprung vom Dach des Hauses Bernauer Straße 44 tödlich.
Ernst Mundt (1921–1962)
Ernst Mundt wird bei seinem Fluchtversuch über den Sophien-Friedhof an der Bernauer Straße am 4. September 1962 von Grenzposten erschossen.
Otfried Reck (1944–1962)
Otfried Reck wird am 27. November 1962 nach dem Abbruch eines Fluchtversuchs an der Invalidenstraße/Ecke Gartenstraße durch den Schuss eines Grenzpostens schwer verletzt und stirbt wenige Stunden später.
Egon Schultz (1943–1964)
Der Grenzsoldat Egon Schultz wird am 5. Oktober 1964 in einem Schusswechsel zwischen einem Fluchthelfer und Grenzposten tödlich verletzt, als diese im Hof der Strelitzer Straße 55 einen Fluchttunnel entdecken.
Olga Segler (1881–1961)
Olga Segler zieht sich schwere Verletzungen zu, als sie am 25. September 1961 durch einen Sprung aus einem Fenster ihrer Wohnung in der Bernauer Straße 34 nach West-Berlin fliehen will. Sie stirbt einen Tag später.
Ida Siekmann (1902–1961)
Ida Siekmann verunglückt tödlich, als sie am 22. August 1961 durch einen Sprung aus einem Fenster ihrer Wohnung in der Bernauer Straße 48 in den Westen zu fliehen versucht.
Rudolf Urban (1914–1961)
Rudolf Urban zieht sich schwere Verletzungen zu, als er sich aus seiner Wohnung in der Bernauer Straße 1 am 19. August 1961 abseilt. Er stirbt einen Monat später im Krankenhaus.