Migration bis heute
In der Geschichte Marienfeldes spiegeln sich politische Entwicklungen und Zäsuren in beiden Teilen Deutschlands, in Europa und international. Ein Ort für Menschen, die in ein neues Leben aufbrechen, ist Marienfelde bis heute: Seit 2010 befindet sich in unmittelbarer Nähe zur Erinnerungsstätte ein Übergangswohnheim für Geflüchtete.
Chronologie der Aufnahme in Marienfelde
Das Notaufnahmelager Marienfelde war jahrzehntelang ein wichtiger Schauplatz der Berliner und der (inner)deutschen Migrationsgeschichte. Hier kamen Flüchtlinge und Menschen an, die aus der DDR übersiedelten oder aus osteuropäischen Staaten und der (ehemaligen) Sowjetunion aussiedelten. Für ihre rechtliche Aufnahme waren Bundesbehörden zuständig, während das Land Berlin den Betrieb des Aufnahmelagers und die Versorgung der Ankommenden organisierte.
Am 14. April 1953 weihte Bundespräsident Theodor Heuss in West-Berlin eine zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge aus der DDR und Ost-Berlin ein: das Notaufnahmelager Marienfelde, gelegen in der amerikanischen Besatzungszone. Ostdeutsche, die im Westen bleiben wollten, durchliefen hier ein für sie vorgeschriebenes Aufnahmeverfahren. In der neuen Einrichtung hatten die vielen beteiligten Behörden und Dienststellen ihre Büros, die vorher über die Stadt verteilt gelegen hatten. Außerdem wurden in den 15 Blocks Flüchtlinge einquartiert, solange ihr Verfahren andauerte. Wer schließlich die Aufenthaltserlaubnis erhalten hatte, wurde in die Bundesländer ausgeflogen, nur ein kleiner Teil der Aufgenommenen verblieb in West-Berlin. 1953 war die Zahl der ostdeutschen Zuwanderer mit über 330.000 besonders hoch. Auch in der Folgezeit verließen fortgesetzt viele Menschen die DDR, oft mehr als 200.000 im Jahr. Knapp drei Millionen Personen verlor der ostdeutsche Teilstaat auf diese Weise an die Bundesrepublik, bevor der Mauerbau vom 13. August 1961 der Abwanderung gewaltsam ein Ende setzte.
Nachdem die Grenze zwischen den Berliner Sektoren abgeriegelt worden war, wurde es ruhig in Marienfelde. Aus der DDR gelangten jetzt fast nur noch Rentnerinnen und Rentner in den Westen. Sie, die wirtschaftlich nichts mehr einbrachten, erhielten Übersiedlungsgenehmigungen. Die freigewordenen Kapazitäten nutzten die West-Berliner Behörden, um ab 1964 Menschen aus osteuropäischen Ländern und der Sowjetunion aufzunehmen, die aufgrund ihrer deutschen „Volkszugehörigkeit“ Anspruch auf die deutsche Staatsangehörigkeit hatten. Auch für sie wurde Marienfelde der zentrale Anlaufpunkt. Hier erhielten die Ankömmlinge eine erste Unterkunft, wurden verpflegt und betreut. Die West-Berliner Einrichtung fungierte dabei als Erstaufnahmestelle des Bundes für neu in Deutschland eintreffende AussiedlerInnen. Zudem war sie Landesaufnahmestelle für solche, die bereits im Bundesgebiet registriert worden waren und in Berlin ihren Wohnsitz nehmen wollten. 232 sogenannte Aussiedlerinnen und Aussiedler wurden 1964 in Marienfelde aufgenommen. In den folgenden Jahren schwankte diese Zahl zwischen rund 300 und 700 Personen.
Die in Berlin eintreffenden „deutschstämmigen“ Menschen kamen überwiegend aus Polen. Dafür hatte der Warschauer Vertrag zwischen der Bundesrepublik und der Volksrepublik Polen 1970 die Voraussetzungen geschaffen. 1975 wurde das Ausreiseverfahren nach weiteren Verhandlungen ausgedehnt. 1976 übersiedelten erstmals mehr als 800 Menschen nach West-Berlin, von 1977 bis 1980 waren es jährlich um die 1.000 Menschen. Neben ihnen und ostdeutschen Menschen im Rentenalter waren Mitte der 1970er Jahre nur wenige Flüchtlinge und freigekaufte politische Häftlinge aus der DDR in Marienfelde anzutreffen. Aber auch in Bezug auf die Abwanderung von dort brachte das Jahr 1975 einen Wendepunkt. Anfang August unterzeichnete die DDR die Schlussakte der Konferenz von Helsinki, in der Menschenrechte festgeschrieben waren. Auf sie beriefen sich immer mehr Ausreisewillige. Zwar blieb die Zahl der Übersiedelnden zunächst gering: 1983 etwa kamen rund 11.300 Ostdeutsche ins Bundesgebiet, davon knapp 2.300 nach West-Berlin. Für die DDR-Führung jedoch wurde die Dynamik der Ausreisebewegung zunehmend zum Problem.
Seit Anfang der 1980er Jahre zeigten die im DDR-Ministerium für Staatssicherheit gesammelten Zahlen eine Ballung hartnäckig verfolgter Ausreisebegehren. Um diese zu reduzieren, entließ die Parteiführung im Laufe des Jahres 1984 rund 35.000 Personen, die einen Antrag gestellt hatten, in den Westen. Das Durchgangsheim Marienfelde war in der Folge ungewohnt stark belegt. Außerdem sah man nun viel mehr jüngere, berufstätige Menschen und Familien. In den Folgejahren kamen dann wieder weniger Ostdeutsche in die Bundesrepublik, bevor die Zuwanderung 1988 anstieg und 1989/90 mit rund 344.000 bzw. 240.000 Flüchtlingen und Übersiedlern einen enormen Umfang annahm. Zeitgleich erreichte auch der Zuzug von Aussiedlerinnen und Aussiedlern Spitzenwerte, insbesondere 1990 mit fast 400.000 Ankommenden. Um den Ansturm zu bewältigen, wurden in Marienfelde Notbetten im ehemaligen Speisesaal und in Sitzungsräumen aufgestellt. Den Aufnahmebehörden dienten Zelte als zusätzliche Büros, in der nahegelegenen Großbeerenstraße wurde sogar ein extra Gebäude angemietet. Für die Unterbringung standen darüber hinaus 240 Übergangseinrichtungen und Notunterkünfte in Turnhallen zur Verfügung.
Anfang Juli 1990 wurde das Aufnahmeverfahren für Übersiedler aus der DDR eingestellt. Damit verlor die Einrichtung in Marienfelde nach über 37 Jahren ihre ursprüngliche Funktion. Als Aufnahmestelle von Aussiedelnden blieb der Ort in Betrieb. Doch bedeutete das Jahr 1990 auch für diesen Zuzug eine Zäsur. Das Aussiedleraufnahmegesetz trat mit der Auflage in Kraft, bereits bei der Einreise in die Bundesrepublik einen Aufnahmebescheid vorzulegen. Auch wurde ein "Vertreibungsdruck" nur noch für die Länder der ehemaligen Sowjetunion pauschal angenommen. In der Folge lösten Russlanddeutsche die aus Polen Zuwandernden als größte Gruppe ab. Darüber hinaus führte die Bundesregierung 1993 eine Kontingentierung ein. Von nun an durften jährlich 200.000 Aussiedlerinnen und Aussiedler aufgenommen werden. Ab 1998 pendelte sich der Zuzug bei etwa 100.000 Personen pro Jahr bundesweit ein, von denen rund 2.500 nach Berlin kamen. Ab 2003 sanken die Zahlen deutlich, die Marienfelder Aufnahmestelle war von da an nicht mehr ausgelastet. 2010 war die Zuwanderung schließlich so weit zurückgegangen, dass die Anlage geschlossen wurde – vorerst.
Einige Monate lang lag das Gelände an der Marienfelder Allee verwaist. Doch es bestand weiterhin Bedarf, schutzsuchende Menschen in Berlin aufzunehmen. Dazu gehörten 2010 vom dortigen Regime Verfolgte aus dem Irak, die als Kontingentflüchtlinge nach Deutschland kamen. Auch in Krisen- und Kriegsregionen wie Afghanistan, Syrien und dem Nordkaukasus sahen sich viele Menschen zur Flucht getrieben. Die Zahl der Schutzsuchenden in der Bundesrepublik begann wieder anzusteigen. Unter der Leitung des Internationalen Bundes wurde die ehemalige Aufnahmestelle in Marienfelde 2010 als Übergangswohnheim für Geflüchtete und Asylsuchende wiedereröffnet. Der Internationale Bund unterstützt die Bewohnenden bei ihrem Lebensalltag. Dabei verändern sich die Zusammensetzung der Bewohnerschaft und ihre Zahl ständig. Besonders viele Menschen kamen 2015/16 an, als sich die Lage in Syrien und Nordafrika erheblich verschärfte. Gegenwärtig leben etwa 700 Menschen aus zehn Ländern im Übergangswohnheim.