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Die Erinnerungsstätte

Bett im Notaufnahmelager

Bett im Notaufnahmelager | Foto: A. Tauber © Stiftung Berliner Mauer

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Ein Museum am historischen Ort

Die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde ist das zentrale Museum zur Flucht im geteilten Deutschland. Das Besondere: Das Museum ist in einem original erhaltenen Gebäude des früheren Notaufnahmelagers für Flüchtlinge und ÜbersiedlerInnen aus der DDR untergebracht. Es befindet sich damit an einem historischen Ort, der mit der deutschen Teilungs- und Fluchtgeschichte engstens verbunden ist. Zugleich liegt das Museum in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Übergangswohnheim für Geflüchtete.

Blick in einen Nebenraum der Ausstellung Generation 75

© Stiftung Berliner Mauer, Foto: Jonas Beck

 

Geschichte und Gegenwart von Migration sind hier so präsent wie an kaum einem anderen Ort: In der Zeit der deutschen Zweistaatlichkeit von 1949 bis 1990 verließen rund vier Millionen Menschen die DDR in Richtung Bundesrepublik. Das Notaufnahmelager Marienfelde war für 1,35 Mil­lionen von ihnen die erste Anlaufstelle im Westen. Hier wurden sie untergebracht und von den westlichen Alliierten befragt. Hier durchliefen die Ankommenden ein Aufnahmeverfahren, um ei­ne Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik und West-Berlin zu erhalten. Heute leben auf dem Gelände des ehemaligen Aufnahmelagers Menschen aus mehr als zehn Ländern, die aufgrund von Gewalt, Verfolgung, Krieg und Armut ihre Heimat verlassen haben.

Migration damals und heute

Familie besucht die Ausstellung

© Stiftung Berliner Mauer, Foto: Gesa Simons

Die Geschichte Marienfeldes zeigt, wie die westdeutsche Gesellschaft mit Zuwanderung umging, politisch-rechtliche Kriterien für die Aufnahme definierte und debattierte, ob es sich um „echte“, politische Flüchtlinge handelte. Wer berechtigt ist, hierher zu kommen, Hilfen in Anspruch neh­men und Teil des „Wir“ sein darf, wird auch gegenwärtig wieder intensiv diskutiert. In der Belegung Marienfeldes spiegeln sich darüber hinaus politische und soziale Entwicklungen und Umbrüche. So bewirkte die Krise der DDR 1953, die sich im Volksaufstand vom 17. Juni entlud, dass die Fluchtzahlen stark anstiegen. Diese Beobachtung lässt nach den Gründen für eine Flucht oder Übersiedlung fragen. Welche politischen Maßnahmen und gesellschaftlichen Umstände trie­ben die Menschen aus der DDR zum Weggehen? Und was erwarteten sie von der Bundesrepublik? Zur Debatte steht, wie die Gesellschaft aussehen sollte, in der die Menschen leben wollten, welche Entfaltungs- und Teilhabemöglichkeiten sie für sich erhofften, wo sie sich zugehörig und sicher fühlten – ei­ne Frage, die wiederum auf die Gegenwart verweist.

Mit Ausstellungen und vielfältigen Bildungs- und Vermittlungsangeboten lädt die Erinnerungsstätte ihre BesucherInnen ein, darüber zu diskutieren. Sie ist außerdem ein Ort, an dem man den persönlichen Geschichten der Menschen sehr nahe kommt und sich von ihren Erfahrungen des Aufbrechens, der Grenzüberwindung und des Ankommens berühren lassen kann.

Erweiterte Perspektiven

Die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde öffnet ihre Erzählungen und Räume für Menschen, deren Biografien ebenfalls mit diesem Ort verbunden sind, die hier aber noch nicht erzählt werden. Es ist die Geschichte der sogenannten (Spät-)Aussiedlerinnen und Aussiedler sowie Menschen jüdischen Glaubens aus der Sowjetunion insbesondere ab Ende der 1980er Jahre. Es sind aber auch bisher unberücksichtigte Geschichten aus den Jahrzehnten davor. Ein genauer Blick zeigt, dass die Herkunftsgeschichten der Menschen aus der DDR vielfältig sind, einige haben bereits zuvor Flucht und Vertreibung erfahren, andere werden im Kontext der deutsch-deutschen Fluchtbewegung z.B. als Sinti nicht wahrgenommen. Und nicht nur Geflüchtete und Ausgereiste aus der DDR waren in Marienfelde. Hier mussten sich alle, die sich länger als drei Monate in einem kommunistisch regierten Land aufgehalten hatten, bei den westlichen Alliierten melden. So kamen auch Asylsuchende aus afrikanischen oder arabischen Ländern hierher, die als Studierende in damaligen Ostblockstaaten gelebt haben.

Frau guckt durch Fernrohr

© Stiftung Berliner Mauer, Foto: Gesa Simons

Die Migrationsgeschichte(n) vor Ort ermöglichen aber nicht nur auf biografischer Ebene eine erweiterte Perspektive. Ausgehend von politisch-rechtlichen sowie gesellschaftlichen Reaktionen auf Flucht und Migration geraten auch andere Bewegungsgeschichten in Ost und West in den Blick: So wurden ab 1978 vietnamesische Boat People in Westdeutschland aufgenommen: 1980 unterzeichnete die DDR das Vertragsarbeiterabkommen mit Vietnam. Während die Boat People eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung für die Bundesrepublik erhielten, erlosch das Aufenthaltsrecht der Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter mit dem Ende der DDR 1990.

Wie waren diese verschiedenen Migrationsgeschichten in Ost und West eingebettet in global­politische Zusammenhänge und Rivalitäten des Kalten Krieges? Wer und was wird heute erinnert und vergessen? Indem sie bisherige Erzählungen befragt und erweitert, will die Erinnerungsstätte multiperspektivische und multidirektionale Erinnerungsräume mitgestalten und zu pluralen Erinnerungskulturen einer diversen Gesellschaft beitragen.

Die Geschichte der Erinnerungsstätte

Ihre Existenz verdankt die Erinnerungsstätte bürgerschaftlichem Engagement: Einige Mitarbeitende des ehemaligen Aufnahmelagers entschlossen sich kurz nach Beendigung des Aufnahmeverfahrens 1990, dessen materielle Hinterlassenschaften zu sichern. Zunächst noch unter dem Dach der Berliner Senatsverwaltung für Soziales eröffnete im August 1993 eine kleine Ausstellung in einem der früheren Wohnblöcke. Im selben Jahr gründeten die Beteiligten gemeinsam mit ehemaligen Geflüchteten, einigen Historikerinnen und Historikern und weiteren Interessierten den Verein Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde. Der Verein übernahm in ehrenamtlicher Arbeit die Trägerschaft der Ausstellung und engagierte sich, um die Geschichte der deutsch-deutschen Fluchtbewegung zu dokumentieren.

Hans-Dieter Dubrow mit Fluchtkoffer bei Einweihung des Denkmals

Hans-Dieter Dubrow mit seinem Fluchtkoffer bei der Einweihung des Denkmals vor der neuen Dauerausstellung 2005.

1998 qualifizierte die Enquête-Kommission des Deutschen Bundestags „Überwindung der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“ die Erinnerungsstätte als historisch herausragenden Ort von gesamtstaatlicher Bedeutung. Diese Auszeichnung, das stetig steigende öffentliche Interesse sowie politische Unterstützung auf Bundes-, Landes- und Bezirksebene motivierte den Verein, die bisherige Ausstellung zu erweitern und zu professionalisieren. Das Projekt „Neue Ausstellung“ begann 2003 und wurde 2005 mit der Ausstellung „Flucht im geteilten Deutschland“ abgeschlossen.

Mit der Aufnahme in die Stiftung Berliner Mauer 2009 löste sich der langjährige Trägerverein auf und gründete sich als Förderverein Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde e.V. neu.

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