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Michas Nachrichten

Hier kannst du alle Nachrichten nachlesen, mit denen von August bis November 2023 die Zeit des Mauerbaus in Berlin aus Michas Perspektive und seine Flucht in Echtzeit erzählt wurden. Du findest hier auch eine Übersicht zu allen Protagonistinnen und Protagonisten sowie ein Glossar, in dem wichtige Begriffe erläutert werden.

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Micha

Do 10. August 1961

  • 🎧😉
  • Redaktion

    Willkommen bei „Nachricht von Micha“! 🥳

    Es ist der 10. August und Micha ist in den Sommerferien im Pionierlager am Plauer See im heutigen Mecklenburg-Vorpommern.

    In den nächsten Wochen bekommst du regelmäßig Nachrichten von ihm und wirst so an seinem Leben in der DDR und seinem riskanten Weg in den Westen teilhaben.

  • Redaktion
    📣 Um Michas Geschichte einzuordnen, melden auch wir uns immer mal wieder zu Wort: die Redaktion der Stiftung Berliner Mauer. Das Projekt beruht auf wahren Begebenheiten und wurde gemeinsam mit dem Zeitzeugen entwickelt. Die folgenden Nachrichten von Micha sind aber von uns als Redaktion verfasst. Gefördert wird das Projekt durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen des Bundesprogramms „Jugend erinnert“, welches von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur betreut wird.

    Liebe Grüße aus der Redaktion
  • Redaktion
    Anmerkung der Redaktion

    🔍️Antworten auf häufige Fragen zum Projekt findest du auf unserer Website. Wenn du mehr wissen willst, klicke unten auf den Link.🤓💡
  • Guck mal, das bin ich: Micha. Mit vollem Namen übrigens Michael Gerd Synowzik. Das Foto ist aber schon mindestens ein Jahr alt, da war ich 11.

    📷️ © Stiftung Berliner Mauer, Foto: Schenkung von Michael Synowzik.
  • Jetzt gerade sind die großen Ferien. 8 Wochen! Ich bin im Zeltlager am Plauer See. Das ist eigentlich das Tollste daran, Pionier zu sein. Also die Pionierlager. Mit Nachtwanderungen und Blindschleichen fangen. Wir lernen hier sogar, wie man sich im Wald zurechtfindet. Also nur mit Kompass und so … Mein Freund Jürgen ist auch dabei. Wir schlafen in großen Zelten mit mehreren Feldbetten drin. Da ist immer was los! Jetzt muss ich aber schnell wieder raus, will ja nix verpassen!!!

  • Redaktion
    Anmerkung der Redaktion

    🔍️Pionierlager waren Ferienlager für Mitglieder der Pionierorganisation und dauerten meist 18 Tage. Sie dienten der "sozialistischen Erziehungsarbeit" außerhalb der Schule und waren in der gesamten DDR verteilt. Wenn du mehr wissen willst, klicke unten auf den Link.🤓💡
  • Redaktion
    Foto: Postkarte Zentrales Pionierlager "Fritz Heckert" in Lenz bei Malchow am Plauer See, 1964.

    So sah es im Pionierlager am Plauer See vermutlich auch schon im Jahr 1961 aus.

    ✍️ Die Redaktion

Fr 11. August 1961

  • Puh! Hier ist richtig was los! Heute ist es eng mit Schreiben. Wir spielen westliche Agenten abschießen. Gestern haben wir sogar Gewehr präsentieren geübt. Da war ich richtig gut drin. Ich liebe das Pionierlager ...

  • Papa wollte eigentlich nicht, dass ich Pionier werde. In der Schule haben die aber ganz schön Druck gemacht. Papa hat nur zugestimmt, weil mein Lehrer meinte, dass ich sonst nicht studieren kann ...

  • Das ist mir ganz recht. Ich wollte eh dabei sein, wie alle meine Freunde ... 😄
  • 🎧😉
  • Hier ist echt viel los! Volles Programm am Wochenende. Wundere dich nicht, wenn ich mich nicht melde 🙂 Bis dann!

So 13. August 1961

  • Oh Mann! Keine Ahnung, was hier los ist! 😬
    Die haben heute Morgen unsere Radios eingesammelt. So streng sind die doch sonst nicht ...

  • Ich weiß auch nicht. Irgendwas läuft hier komisch. Der ganze Tag war echt seltsam und nach dem Essen mussten wir schnurstracks in die Zelte und leise sein. Und ich hatte mich schon so auf die Nachtwanderung gefreut ...

  • 🎧😯️
  • Du wirst es nicht glauben! Gerade im Radio gehört: In Berlin ist anscheinend die Grenze dicht. Jürgen hat heimlich ein Radio behalten und da wurde es gerade gemeldet. Wir mussten dann leider ausschalten, weil die anderen wach wurden. Ob das echt wahr ist? Ich muss jetzt Schluss machen, strengste Nachtruhe … sonst bekomm ich noch Ärger. Ich melde mich!

Mo 14. August 1961

  • Was für eine Nacht! Konnte kaum pennen. Und jetzt blasen die echt das Pionierlager ab. Wir sollen ganz schnell unsere Sachen packen und dann geht´s mit dem Bus zurück nach Berlin. Muss mich beeilen! Bis später.
  • Jetzt bin ich wieder zu Hause. Papa ist nicht da. Der weiß ja auch gar nicht, dass ich heute zurückkomme. Werde jetzt gleich mal raus und gucken, was an der Grenze los ist!!!

  • 🎧😯️
  • Bin jetzt ein Stück weg von der Grenze. Ganz schön krass, überall sind Soldaten und passen auf, dass niemand zu nah an die Grenze rankommt. Ich geh jetzt schnell nach Hause. Bis dann!
  • Redaktion

    Anmerkung der Redaktion

    Auf dem Bild siehst du eine Straße mit Stacheldraht in Berlin-Neukölln am 13. August 1961, auf der in den nächsten Wochen die Berliner Mauer gebaut wird. So wie dort Menschen in Ost-Berlin standen, hat auch Micha in Berlin-Mitte an der Kronprinzenbrücke gestanden. Die Fotografie wurde von West-Berliner Seite aus aufgenommen. Fotografien aus Ost-Berliner Perspektive sind heute kaum überliefert. Wenn du Bilder besitzt, die den Mauerbau von Ost-Berliner Seite aus zeigen, freuen wir uns sehr über deine Zusendung!

    Liebe Grüße.

    📷️ Bild: Grenzpolizisten und Stacheldraht versperren am 13.08.1961 eine Wohnstraße in Neukölln

    © Stiftung Berliner Mauer

  • Papa ist gerade nach Hause gekommen. Der ist auch total ratlos. Er meint, dass das vielleicht wieder nur so ne kurzzeitige Sache ist. Das gab´s ja schon öfter. Hoffentlich hat er recht ...

  • Redaktion

    🔎 Zu den Hintergründen:

    In der Nacht zum 13. August 1961 ließ die DDR-Regierung die Grenze rund um West-Berlin abriegeln. Volkspolizei und Betriebskampfgruppen marschierten an der Sektorengrenze auf und errichteten Stacheldrahtsperren. Die Nationale Volksarmee der DDR und auch sowjetische Truppen waren in Alarmbereitschaft. Die Regierungen in Ost-Berlin und Moskau wollten sowohl für einen Konflikt mit den Westmächten als auch für einen Aufstand gewappnet sein. An diesem Sonntagmorgen erwachten die Menschen in Ost- und West-Berlin in einer mit Stacheldraht geteilten Stadt. Viele machten sich vor Ort ein Bild von der Lage. Noch war die Hoffnung groß, dass es nur eine kurzzeitige Abriegelung der Grenze ist.

  • Redaktion
    🎬💡️ © Stiftung Berliner Mauer

Mi 16. August 1961

  • Wir sind immer noch alle ganz schön durch den Wind. Gestern Abend kam Tante Luzie zu uns rüber. Sie wohnt ja nebenan. Die konnte es auch gar nicht fassen, dass die alles abgeriegelt haben!!!

  • Gleich gehe ich vielleicht mal rüber zu Peter. Das ist mein großer Bruder. Bin gespannt, was er denkt. Er wohnt ja zum Glück um die Ecke und nicht auf West-Berliner Seite ...

  • Das muss ich aber machen, wenn Papa noch bei der Arbeit ist. Die sprechen ja nicht mehr miteinander … und Papa will nicht, dass wir uns treffen ... 🤔

  • Jetzt lief im RIAS gerade eine Rede von Willy Brandt in West-Berlin. Wir haben heimlich zugehört. Radiosender aus dem Westen darf man ja nicht hören. Anscheinend haben sich dort tausende Menschen versammelt und Brandt hat zu ihnen gesprochen. Ob Tante Tilli und Onkel Eberhard wohl da waren und auch demonstriert haben???

  • Redaktion
    Foto: Menschen bei der Kundgebung vor dem Schöneberger Rathaus, 16.8.1961 © Alamy Stock Foto/Mirrorpix

    So sah es am heutigen Tag vor 62 Jahren vor dem Schöneberger Rathaus in West-Berlin aus.

    ✍️ Die Redaktion
  • Redaktion
    🔎 Zu den Hintergründen:

    Die Abriegelung der Grenze hatte in Ost- und West-Berlin zu zahlreichen Protesten geführt. In Ost-Berlin wurden Menschenansammlungen sofort auseinander getrieben. Auf der West-Berliner Seite versammelten sich immer wieder Menschen an der Grenze und protestierten lautstark. Am 16. August kamen rund 300.000 Menschen vor dem Schöneberger Rathaus zu einer Protestkundgebung zusammen.
  • Redaktion
    Foto: © Alamy Stock Foto/Mirrorpix

    Der Regierende Bürgermeister Willy Brandt verurteilte die Abriegelung der Sektorengrenze durch die DDR als Bruch des Viermächte-Status von Berlin. Er appellierte an die West-Alliierten, einzuschreiten. Auch in der Bevölkerung in West und Ost ruhte die Hoffnung auf den West-Alliierten. Diese agierten aber eher zurückhaltend. Am Vortag hatten die westalliierten Stadtkommandanten zwar Protestschreiben an den sowjetischen Stadtkommandanten geschickt. Eine deutliche Aufforderung, die Grenzabriegelung aufzuheben, enthielten sie aber nicht.

    📝️️ Die Redaktion

Do 17. August 1961

  • Heute ist endlich wieder Fechtunterricht. Ich freu mich riesig drauf. Das letzte Mal ist schon viel zu lang her. Claudia, meine Schulkameradin ist bestimmt auch da!!!

  • ... Allein die Fremdsprachenausdrücke finde ich ziemlich klasse. Allee – Second – Priem – Terz – Quart! Ausfall radoppio! Macht richtig was her! Bis später.
  • Die Fechtschule hat einfach zu! Was ist das denn bitte? Hoffentlich ist der nicht rüber … An der Tür hängt nur ein winziger Zettel: Fechtschule geschlossen ... 🤔
  • Ich hab schon etwas Schiss … Soo lange hab ich auf meine Fechtsachen gespart und nun ist das vielleicht alles für die Katz. Wenn der nicht mehr auftaucht, dann kann ich mein Florett vergessen ...

Fr 18. August 1961

  • 🎧😯️
  • Ich glaub's immer noch nicht, die bauen jetzt echt ne richtige Mauer an der Grenze!!! Bin nochmal mit dem Rad raus und überall ersetzen sie den Stacheldraht tatsächlich durch Steine ...

  • Redaktion
    Foto: © Alamy Stock Foto/RBM Vintage Image

    Hier ist das Geschehen von West-Berliner Seite fotografiert. In Ost-Berlin durfte man nicht so dicht an die Mauer und konnte sie höchstens heimlich fotografieren.

    ✍️ Die Redaktion
  • Jetzt kommt im Radio hier gerade eine Rede von Ulbricht. Papa hat die ganze Zeit nur mit dem Kopf geschüttelt. Ich versteh gar nicht, was der über die West-Berliner sagt. Das stimmt doch gar nicht. Ich war oft genug drüben … Das sind ganz normale Leute ...

  • Redaktion
    🔎 Zu den Hintergründen:

    Fünf Tage nach der Grenzabriegelung meldete sich DDR-Staatschef Walter Ulbricht in einer Rundfunk- und Fernsehansprache zu Wort. Er rechtfertigte die Abriegelung der Grenze in Berlin als notwendige Maßnahme, um die DDR gegen einen angeblich bevorstehenden (militärischen) Angriff der Bundesrepublik zu schützen. Sie diene nicht nur dem Frieden in der DDR, sondern in Europa und der Welt. Am selben Tag wies der sowjetische Stadtkommandant die Protestschreiben der westalliierten Stadtkommandanten als "völlig unbegründet" ab. Er verwies auf die staatliche Souveränität der DDR und deren Recht auf den Schutz ihrer Grenzen. Und genau darum ging es der SED-Regierung auch beim Mauerbau: Die abgeriegelten Grenze sollte die Massenflucht aus der DDR stoppen, aber auch die Souveränität der DDR beweisen.

Mo 21. August 1961

  • Gestern sind wohl US-Soldaten in Berlin angekommen. Vielleicht tut sich da ja doch noch was ...

  • Papa meint, dass die Amerikaner vielleicht was gegen die Mauer unternehmen. Die können uns ja hier nicht einfach eingesperrt lassen ... 🤔
  • Redaktion

    Anmerkung der Redaktion

    US-Präsident John F. Kennedy schickte sechs Tage nach der Grenzabriegelung den US-Vize-Präsidenten Lyndon B. Johnson und General Lucius D. Clay sowie 1.500 US-Soldaten nach West-Berlin, um die dortige Bevölkerung zu beruhigen und die Solidarität der USA zu demonstrieren. Clay besaß in West-Berlin großes Vertrauen. Während der Berlin-Blockade 1948/49 hatte er als Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone die Luftbrücke organisiert und so für die Versorgung des abgeriegelten West-Berlins gesorgt. Am Nachmittag des 20. August 1961 fuhren vier Konvois der US-Armee quer durch West-Berlin und wurden an der Wegstrecke von mehreren Hunderttausend Menschen bejubelt.

    Liebe Grüße.
    📷️ Bild: West-Berlin, 20.8.1961 © Stiftung Berliner Mauer / Hans-Joachim Grimm

Di 22. August 1961

  • 🎧😯️
  • Überall wird getuschelt. Es wollen wohl noch viele Leute nach West-Berlin rüber. Aber die bauen immer mehr Mauern und Zäune mit Stacheldraht an der Grenze. Bei Häusern direkt an der Grenze haben sie scheinbar sogar die Eingänge zugemauert. 😮 Damit dort niemand abhauen kann! Was jetzt mit denen passiert, die erwischt werden ... ?
  • Redaktion
    Zu den Hintergründen:

    👉️ Kurz nach der Grenzabriegelung versuchten viele Menschen noch von Ost- nach West-Berlin zu gelangen. Es kam zu dramatischen Fluchten – zumal auch schon die ersten Schüsse gegen Flüchtende fielen. Manche versuchten ihre Flucht durch die Grenzanlagen und die Grenzgewässer. In Häusern unmittelbar an der Sektorengrenze seilten sich Menschen aus den Fenstern ab oder sprangen in Sprungtücher der West-Berliner Feuerwehr.

    ⬇️ und schau mal:
  • Redaktion

    ➡️ Bild: Bernauer Straße, 24.8.1961. © Stiftung Berliner Mauer/Brigitte Geschwind. 📸

  • Redaktion
    Bild: Auszug aus der Berliner Morgenpost, 23.8.1961

    👉️ Bei den Fluchtversuchen kam es zu Festnahmen, aber auch zu ersten Todesfällen. So starb am 22. August 1961 Ida Siekmann an ihren Verletzungen nach einem Sprung aus ihrem Wohnungsfenster an der Bernauer Straße. Sie ist das erste Todesopfer an der Berliner Mauer. Wenn du ihre Geschichte nachlesen möchtest: https://www.chronik-der-mauer.de/todesopfer/171438/siekmann-ida?letter=…

    ✍️ Die Redaktion

Do 24. August 1961

  • Ich will heute mal zu Mamas Grab. Ich hoffe, die lassen mich noch dahin. Ist ganz schön nah an der Grenze ...

  • Als Mama gestorben ist, da war ich erst 6. Sie hatte ganz schlimme Tuberkulose. Bestimmt ist sie immer kränker geworden wegen der blöden Kellerwohnung, in der wir vorher gewohnt haben! Wir sind dann umgezogen und sie hatte ihr Zimmer am Ende des Flurs und lag den ganzen Tag nur im Bett. Und ich durfte sie auch nicht umarmen, weil sie so ansteckend war. 😢

  • Papa ist ja mehr so der Macher und will auch immer bestimmen. Aber Mama war ganz besonders. Sie konnte richtig gut singen! Und sie hatte so ne schöne Haartolle, die hat sie immer gekämmt, auch noch als sie dann immer im Bett liegen musste ...

  • 🎧😯️
  • 📢 Hör mal, boah ich fass es nicht
  • Ich geh jetzt erstmal mit Burkhardt raus in den Ruinen spielen. Muss ihm das auch gleich mal erzählen. Das ist doch wirklich ein starkes Stück.
    Bis dann!

Fr 25. August 1961

  • Gleich geh ich rüber zu Tante Luzie und frühstücke bei ihr, sie wohnt gegenüber, einmal über den Hof. Papa schläft noch, er hatte wieder Spätschicht. Vielleicht macht sie mir ja Kakao ... 🍫

  • ach, ich freu mich auf Peterchen! Das ist die Katze von Tante Luzie. Macht richtig Spaß, mit ihr zu spielen! Hab sie eben schon auf dem Küchentisch springen sehen. Man kann nämlich von uns aus übern Hof ins Küchenfenster von Tante Luzie gucken. 😄
  • Wenn ich Tante Luzie nicht hätte ... Sie ist gar nicht meine richtige Tante. Aber sie kümmert sich um mich, vor allem seit Mama tot ist. Sie ist so lieb zu mir! 💕 Sie ist für mich fast wie eine richtige Mama. Gut, dass Papa sich auch so gut mit ihr versteht. 😌

So 27. August 1961

  • Tante Luzie war gerade ganz aufgeregt. Sie hat mitbekommen, dass wohl jemand an der Grenze von Vopos erschossen wurde. Hier direkt um die Ecke ... am Humboldthafen! Ich kann´s nicht glauben. Langsam wird mir das alles wirklich unheimlich …

  • Papa und Tante Luzie sind auch richtig angespannt. Die glauben schon nicht mehr, dass die Abriegelung kurzzeitig ist.
  • Redaktion
    Foto: © Stiftung Berliner Mauer, Jürgen Litfin

    Tatsächlich wurde am 24. August 1961 ein junger Mann bei dem Versuch, die Grenzanlagen zu überwinden, erschossen. Günter Litfin wollte zwischen den Bahnhöfen Friedrichstraße und Lehrter Bahnhof durch den Humboldthafen von Ost- nach West-Berlin schwimmen. Dabei wurde er durch einen Schuss von Transportpolizisten der DDR getroffen. Er ist das erste erschossene Todesopfer an der Berliner Mauer. Wenn du mehr über seine Geschichte wissen möchtest, dann schaue hier: https://www.stiftung-berliner-mauer.de/de/gedenkstaette-guenter-litfin/….

    ✍️ Die Redaktion

Mo 28. August 1961

  • Oh Mann! Bald geht die Schule wieder los, nichts mehr mit Ferien. 😬
    Eigentlich war geplant, dass ich in den letzten Ferientagen meine Cousins in Friedenau besuche. Aber die wohnen in West-Berlin, da kommen wir ja nun gar nicht mehr hin ...

  • Dann geh ich jetzt zu Wilfried, der ist immer zuhause, weil er keine Arbeit hat. Er ist der Sohn von Tante Luzie. Ihre Kinder sind schon erwachsen und wohnen nicht mehr bei ihr, außer Wilfried. Vielleicht kommt Peter nach der Arbeit auch noch, die sind ja befreundet.
  • Wir tauschen immer Micky Maus Hefte. Wilfried ist bestimmt auch enttäuscht, dass ich keinen Nachschub von meiner Tante aus dem Westen bekomme. Er kann richtig gut Comics zeichnen. Am Wochenende hat er mir seine neuen Entwürfe gezeigt. Fast so gut wie Micky Maus 😊 Da soll der mal was draus machen!
  • Das ist übrigens gerade mein Lieblingsheft von Micky Maus. 😊

Di 29. August 1961

  • Heute hab ich mich mit meinem Bruder verabredet. Ich geh gleich mal rüber. Der ist bestimmt noch bei der Arbeit, aber ich hab ja seinen Schlüssel ...

  • Muss aber noch abwarten, bis Papa los ist zur Arbeit. Er soll es nicht mitbekommen.
  • Peter hat ein richtiges Schwarzbrot mitgebracht! Und dann haben wir mindestens ein ganzes Kilo Zwiebeln geschnitten und drauf gemacht. Mit Salz und Pfeffer und Paprika. Mmmmmh! Ein Träumchen!
  • Jetzt bin ich wieder zu Hause. Papa hat zum Glück nichts mitbekommen. 😎

Mi 30. August 1961

  • 🎧😯️
  • Papa und ich wollten heute eigentlich noch hin. Es gibt es so viele Sachen zu ernten.
  • Aber so macht das für uns einfach keinen Sinn! Wir schaffen es gar nicht hin und zurück, wenn Papa abends noch ins Lichtspielhaus muss. Schade um das ganze Essen …

Do 31. August 1961

  • Jetzt ist Fechten übrigens wirklich vorbei! Letzte Woche war Herr Schäfer auch wieder nicht da und es hängt immer noch der gleiche Zettel an der Tür ...

  • Die Leute reden schon, dass er hier zwar die Fechtschule hatte, aber in West-Berlin gewohnt hat. Ich dachte, der wäre auch abgehauen. Aber dann lassen die ihn wahrscheinlich einfach nicht mehr hier her?! Da gibt es jetzt irgend so ein Gesetz ... 🤔
  • Redaktion
    🔎 Zu den Hintergründen:

    Am 22. August 1961 hatte das SED-Politbüro beschlossen, dass Personen aus West-Berlin nur noch mit einer Aufenthaltsgenehmigung in Ost-Berlin sein dürfen. Für die entsprechenden Anträge wollte die DDR Anlaufstellen in West-Berlin einrichten. Dies untersagte jedoch die Alliierte Kommandantur nach Rücksprache mit dem West-Berliner Senat, da man darin eine Anerkennung der Grenzabriegelung sah. Fortan konnten auch die Menschen in West-Berlin nicht mehr die Grenze gen Ost-Berlin passieren. Erst zwei Jahre später ermöglichte dies ein Passierscheinabkommen, sodass sich zumindest getrennte Familien wiedersehen konnten.

Fr 01. September 1961

  • 🎧😉
  • Das ist Margit 💕 Sie ist einfach schnieke, hab sie die ganze Deutschstunde lang heimlich angeschmachtet. Ich hoffe, dass wir vielleicht nach der Schule noch ein Stück zusammenlaufen.
  • Aber es sind echt nicht alle Schüler wieder da. Und Frau Heinrich hat nichts dazu gesagt ... Sie meinte nur, dass die Grenze zum Schutz der Bürger der DDR geschlossen werden musste. Vor den Schiebern, Spekulanten und Agenten ... 🙄

  • 🎧️🥰

Mo 04. September 1961

  • Es ist richtig klasse, dass ich wieder zur Schule kann. Jetzt kann ich meine Freunde endlich wieder jeden Tag sehen. 😇
  • Gleich ist Fahnenappell. Jeden Montagmorgen wird die Fahne der DDR hochgezogen … bin gespannt, wer das heute machen darf.
    Und hoffentlich muss heute keiner nach vorne und sich vor versammelter Mannschaft für sein schlechtes Verhalten entschuldigen. 😕

  • Jetzt hab ich Biologie. Das ist mein absolutes Lieblingsfach! Da bin ich richtig gut drin. Chemie und Physik machen aber auch ziemlich Spaß.
  • Hauptsache nicht Rechnen! Das kann ich gar nicht leiden! Der Unterricht ist tierisch langweilig … und der Lehrer eine richtige Schnarchnase.

  • Redaktion

    Zu den Hintergründen:

    👉️ Schule in der DDR lief etwas anders ab als heute: Alle Kinder besuchten von der 1. bis zur 10. Klasse gemeinsam die sogenannte Polytechnische Oberschule (POS). Neben der Vermittlung von Wissen diente der Unterricht auch dem Erlernen von praktischen Fähigkeiten. Der sogenannte polytechnische Unterricht sollte die Schülerinnen und Schüler gezielt auf das Arbeitsleben vorbereiten, dazu gehörten Arbeitseinsätze in Betrieben oder als Erntehelfer. Zudem gab es das Pflichtfach Staatsbürgerkunde, um die Jugendlichen zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ zu erziehen. Ende der 1970er Jahre wurde zusätzlich Wehrkunde als Pflichtfach ab der 9. Klasse eingeführt, das einer vormilitärischen Ausbildung diente. Nach der 8. Klasse wurde ein kleiner Teil der Schülerinnen und Schüler zum Besuch einer Erweiterten Oberschule (EOS) zugelassen, um Abitur zu machen. Politische Angepasstheit war dabei mitunter wichtiger als Noten.

    ⬇️ und schau mal:

Di 05. September 1961

  • 🎧😯️
  • Das vorhin war schon ganz schön riskant. Musste mich seitlich irre weit aus dem kleinen Fenster lehnen, um alles zu sehen. Sogar den Reichstag konnte ich sehen. Da werde ich wohl jetzt öfter mal rausgucken!!!
  • Trotzdem macht mir die Abriegelung Angst. Papa ist immer noch ganz unruhig. Der sagt auch, dass das eine längere Sache wird …

Mi 06. September 1961

  • Gleich geh ich zum Pioniernachmittag. Heute wird gebastelt! Das kann ich gut und macht richtig Spaß. Ich bin gespannt, was es diesmal ist
  • Nicht schlecht, wir basteln Panzer aus Papier. Bin jetzt erstmal beschäftigt und melde mich dann später wieder bei dir.
  • Was für ein Spaß! Wir haben ganze Schlachten mit den Panzern nachgestellt. Meine Gruppe hat sogar die Schlacht gegen den westlichen Feind gewonnen.
  • Aber dann meinten die ernsthaft, dass wir alle, auch unsere Familie, beim Pionierleiter melden sollen, die Westradio hören oder West-Fernsehen gucken. Die haben sie doch nicht mehr alle. Ich verpfeif doch nicht meinen eigenen Vater!
  • Bild: Auszug aus der Jungen Welt, 04.09.1961

    Ah, anscheinend läuft gerade auch so eine Aktion bei der FDJ. Hier, das hab ich in der Jungen Welt entdeckt.
  • Redaktion
    🔎 Zu den Hintergründen:

    Radiowellen lassen sich durch Mauern nicht aufhalten. Und so ergriff die DDR-Regierung kurz nach dem Mauerbau auch Maßnahmen gegen das sogenannte “geistige Grenzgängertum” wie das Hören oder Sehen von westlichen Rundfunk- und Fernsehsendungen. In einer DDR-weiten Aktion “Blitz kontra NATO-Sender” wollte die FDJ im September 1961 mit Diskussionen in Betrieben und Haushalten die Menschen überzeugen, keine Westsender mehr zu empfangen. Bei Gesprächen blieb es dabei jedoch nicht. Mitunter drehten FDJ-Angehörige auch eigenmächtig Antennen auf DDR-Sender oder zerstörten sie sogar, wenn sich die Leute nicht einsichtig zeigten. Und das waren nicht weniger. In der Bevölkerung gab es viel Widerspruch oder stillschweigendes Zuwiderhandeln. Wenn Du mehr über die Aktion wissen möchtest: https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/74942/keine-nato-sender-meh….

Do 07. September 1961

  • Gerade in der Schule haben die richtig schlecht über die Leute im Westen gesprochen. Das kann gar nicht sein … meine Verwandten dort sind doch gar nicht so! Langsam weiß ich nicht mehr, was ich von dem Ganzen noch glauben soll.

  • 🎧😯️
  • 🎧️🏡
  • Wenn ich hier so zu Hause hocke, merke ich noch mehr, wie sehr mir die Ausflüge nach West-Berlin fehlen. Bei Tante Tilli konnt ich immer Fernsehen gucken. Wir haben ja keinen …

  • Und ich konnte ohne Unterbrechungen RIAS hören. Zu Hause muss ich immer tierisch aufpassen, wegen der Nachbarn. Keiner soll wissen, dass wir Westradio hören.

Fr 08. September 1961

  • 🎧😉
  • So ein verdammter Mist! Mein Fahrradschlauch ist geplatzt und ich musste den ganzen Weg zurückschieben. Richtig ärgerlich. Zum Glück war ich noch nicht so weit, nur in der Nähe der Kronprinzenbrücke.
  • Drück mir die Daumen, dass ich am Wochenende einen neuen Fahrradschlauch bekomme. Bin ziemlich verplant und mit Freunden verabredet. Das Rad wollte ich da eigentlich mitnehmen. Ich melde mich dann bald wieder bei dir!

Mo 11. September 1961

  • Was ein Wochenende … Wir waren ganz schön viel unterwegs.

  • Mein Fahrrad kann ich aber wohl vergessen. Der Verkäufer im Laden meinte nur: Fahrradschlauch?! Ham wa nich! Im Westen wäre das sicher einfacher. Langsam bin ich wirklich genervt von dieser Grenze!
  • Redaktion
    🔎 Zu den Hintergründen:

    Warum war es so schwer, an einen neuen Fahrradschlauch heranzukommen? In der DDR herrschte vor allem in den ersten Jahren immer wieder ein erheblicher Mangel an Lebensmitteln und anderen Dingen des täglichen Bedarfs. Man erhielt zum Teil bis 1958 Lebensmittel noch gegen Marken, so konnte der Staat die Zuteilung von Lebensmitteln rationieren und besser lenken. Auch nachdem sich die DDR-Wirtschaft in den 1960er und 1970er Jahren etwas erholt hatte, waren leere Regale und lange Warteschlangen vor Geschäften bis zum Schluss Sinnbild des sozialistischen Wirtschaftssystems, der Planwirtschaft. Wenn du mehr zur Planwirtschaft wissen möchtest, schau in unser Glossar: https://www.stiftung-berliner-mauer.de/de/checkpoint-charlie/nachricht-….
  • Bin gerade nach Hause gekommen. Schon wieder hat der Nachbar unten an der Tür gelauscht. Immer hat der seine verdammte Tür auf und bespitzelt uns alle. Der guckt sogar nach, was wir für Post bekommen und wer bei uns zu Besuch ist. Der ist bestimmt ein Spitzel …

  • Da muss man hier echt aufpassen. Wenn der wüsste, dass wir ständig Westradio hören. Dann würde vor allem mein Vater riesige Probleme bekommen.
  • Redaktion
    Anmerkung der Redaktion

    Die Befürchtung, von den eigenen Nachbarn bespitzelt zu werden, hatten viele Menschen in der DDR. Tatsächlich nahm die Überwachung der Bevölkerung über die Jahre immer größere Ausmaße an. Vor allem das Ministerium für Staatssicherheit (MfS, oder „Stasi“) wurde als Geheimpolizei immer weiter ausgebaut und verfügte über jede Menge offizielle und inoffizielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Stasi konnte ohne Probleme Briefe abfangen, Telefonate abhören oder Wohnungen verwanzen – was aber gegen Ende der DDR in viel größerem Umfang stattfand als in den 1960er Jahren. Unterstützt wurde sie dabei von allen Institutionen des Staates.

    Wenn du mehr zu den Hintergründen des Ministeriums für Staatssicherheit und auch zu den inoffiziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wissen willst, schau in unser Glossar:

    https://www.stiftung-berliner-mauer.de/de/checkpoint-charlie/nachricht-…

Di 12. September 1961

  • Burkhard meinte heute in der Pause, dass sein Erdkundelehrer wohl nach den Sommerferien im Westen geblieben ist. Der war da irgendwo am Rhein und ist nicht zurückgekommen.

  • Über die Fluchten nach West-Berlin wird auch ständig berichtet, nicht bei uns im Radio, aber im RIAS. Irre, was die Leute alles anstellen, um in den Westen zu kommen. Papa meint, dass die Grenze wahrscheinlich bleibt und wir uns irgendwie erst einmal damit abfinden müssen.
  • Redaktion

    🎬💡️ © Stiftung Berliner Mauer

Do 14. September 1961

  • Brühwürfelchen sind der neue Renner! Die lutschen wir gerade immer auf dem Schulhof. Das ist knallig salzig … Hab mir gestern auch welche gekauft und kann Burkhard seine zurückgeben.

  • Hmm, das ist ein Träumchen. Margit möchte bestimmt auch welche haben. Ich frag sie mal, ob sie heute Nachmittag auch dabei ist ... 🤗
  • 🎧😉

Fr 15. September 1961

  • Nächste Woche muss ich mich mal wieder mit Peter treffen. Von dem habe ich schon länger nichts gehört.
  • Hab nämlich ein neues Tonband aufgenommen. Westmusik, die im Radio lief. Da sind richtig gute Lieder bei. Peter wird sich sicher freuen.
  • “Marina” von Rocco Granata find ich richtig gut!
  • Redaktion
    🔎 Zu den Hintergründen:

    Musik von westdeutschen Radiosendern mitschneiden, war ein allgegenwärtiges Hobby in der DDR. Denn die offizielle Kulturpolitik der SED schränkte die künstlerische Freiheit stark ein – von inhaltlichen Vorgaben des Sozialistischen Realismus bis hin zu formalen Bestimmungen, wenn es um Auftritte und Veröffentlichungen ging. Weil die offiziellen Angebote aber nur selten auf Gegenliebe bei jungen Menschen stießen, suchten sie Alternativen in den westdeutschen Radioprogrammen. Die Mitschnitte auf Tonbändern und später Kassetten wurden oft getauscht. Für westliche Schallplattenveröffentlichungen nahm man abenteuerliche Schmuggelaktionen in Kauf.

    Hier ist übrigens ein Link zum Lied “Marina”, von dem Micha gesprochen hat:
  • Morgen nach der Schule geh ich mit Burkhard und Jürgen angeln. Das wird ein Spaß! Mal sehen, wo wir am Schiffbauerdamm noch gut an den Fluss rankommen und ob wir was fangen.

Mo 18. September 1961

  • Gerade kam Tante Luzie ganz aufgeregt rüber. Sie macht sich tierisch Sorgen. Wilfried war schon zwei Nächte nicht zu Hause!
    Aber eigentlich ist der ja erwachsen … Der ist bestimmt nur unterwegs. Ich muss jetzt los zur Schule …

  • Eben hat´s geklingelt. Irgendein Mann, der wollte direkt mit Papa sprechen. Kommt mir ganz schön komisch vor.
    Aber irgendwoher kenne ich den ... Als hätte ich den schonmal gesehen. So ein bisschen wie dieser eine Schauspieler, Yul Brynner!
    Was der wohl will? Papa hat den reingelassen und ist mit ihm in die Küche, ohne mich. Ich versuch mal an der Tür zu lauschen.

  • 🎧😯️
  • Ich hab ja Peter auch schon ein paar Tage nicht mehr gesehen. Hoffentlich ist dem nichts passiert!
  • Was?! Ich kann´s nicht glauben! Dieser Helmut meint, dass Peter und Wilfried nach West-Berlin abgehauen sind. Und Helmut wollte eigentlich mit, aber nun sind sie weg. Ist Peter echt abgehauen, ohne mir was zu sagen??? 😠
  • Geh jetzt mit Helmut zu Peters Wohnung. Bei mir fällt’s nicht so auf, weil die Nachbarn mich kennen. Wir müssen in der Wohnung Spuren verwischen! … damit niemand was von der Flucht merkt. Wenn die Stasi was mitbekommt, dann sind wir auch dran. 😥

  • Bin jetzt wieder zu Hause. Wir haben verdächtige Sachen von Peter in der Kirchenruine versteckt. Ich bin hundemüde und geh jetzt sofort ins Bett. Morgen besprechen wir, wie es weitergeht. Zum Glück darf ich diesmal dabei sein. Ich bin doch kein kleines Kind mehr!

Di 19. September 1961

  • 🎧😯️
  • Aber dieser Helmut ist mir nicht ganz geheuer ... Ich kann mir keinen Reim auf den machen. Wenn der von der Stasi ist, bekommen wir richtig Probleme. Und Papa spricht so offen mit ihm über alles ...

  • Oh je, das ist alles mächtig seltsam. Ich hab schon öfter gehört, dass die Stasi die Menschen bespitzelt. Was ist, wenn auch Helmut so einer ist. Gleich kommt er wieder vorbei.
  • Jetzt hab ich den ganzen Tag lang Nachrichten gehört, ob irgendwo eine Flucht schiefgegangen ist. Aber nix. Hoffentlich haben sie Peter und Wilfried nicht erwischt!!!

Do 21. September 1961

  • Heute in der Schule musste ich mich richtig zusammenreißen. Wenn ich mich verplapper, dann gibt´s Ärger. Hoffentlich merkt keiner was.
  • So richtig hab ich das nicht mitbekommen, aber Papa und Helmut müssen nochmal gesprochen haben. Die sind so komisch vertraut miteinander. Papa ist doch sonst nicht so offen 🤔
  • Verdammt! Ich glaub Helmut hat recht. Die werden uns noch erwischen! Das fällt doch auf, wenn Peters Miete nicht bezahlt ist und er nicht mehr bei der Arbeit auftaucht ...

  • Redaktion
    💡👉 Die Redaktion merkt an:

    Hier seht ihr ein Mietbuch von Micha und seinem Vater. Solche Mietbücher hatten viele Haushalte. Meistens wurde zu Beginn des neuen Monats im Mietbuch die Zahlung der Wohnungsmiete quittiert.

    Bild: Stiftung Berliner Mauer, Schenkung von Michael Synowzik.

Fr 22. September 1961

  • 🎧😯️
  • Tschuldige die etwas seltsame Nachricht heute morgen. Ich war und bin immer noch total aufgeregt, weil wir uns jetzt echt für eine Flucht entschieden haben. Am Wochenende treffen wir uns wieder mit Helmut und überlegen, wie wir abhauen können. Melde mich bei dir.

So 24. September 1961

  • Puh, wir sitzen schon total lange mit Helmut zusammen und überlegen, wie wir noch über die Grenze kommen. Zu versuchen, über den Stacheldraht zu klettern, ist keine gute Idee. Da sind wir uns einig. Die Grenze verändert sich ja jeden Tag! Papa meint, wo gestern noch Stacheldraht war, kann morgen schon eine Mauer stehen. Und das ist auch viel zu gefährlich! Ich melde mich wieder. Will nix verpassen.

Mo 25. September 1961

  • Vielleicht versuchen wir durch den Humboldthafen zu schwimmen, hier ganz in der Nähe. Haben wir gestern Abend besprochen. Ich will unbedingt mitmachen bei den Planungen und schaue mich nach der Schule mal dort um.
  • 🎧😯️
  • Jetzt hat sich das sowieso erledigt. 😢 Tante Luzie ist gar nicht begeistert von der Idee. Dort ist ja vor kurzem einer erschossen worden, der in den Westen wollte. Und sie traut sich auch nicht, so lange zu schwimmen ... Aber sie muss unbedingt mit!

  • Redaktion
    Zu den Hintergründen:

    👉️ Das Ufer des Humboldthafens war 1961 auf Ost-Berliner Seite mit Stacheldraht gesichert. Die gesamte Wasserfläche des Hafens gehörte aber auch noch zur DDR.

    Bild: Ansichtskarte mit Motiv von 1961 © Stiftung Berliner Mauer.

    ⬇️ und schau mal:
  • Redaktion
    Bild: Stadtplan von Berlin, 1959 © VEB Landkartenverlag

    👉️ Auf diesem Kartenausschnitt siehst du den Grenzverlauf, den Humboldthafen und die Reinhardtstraße, in der Micha gewohnt hat.

    ✍️ Die Redaktion

Mi 27. September 1961

  • Wir haben eine neue Idee! Wir gehen durch die Kanalisation nach West-Berlin. Wo und wie genau, müssen wir noch gucken.
  • Tante Luzie findet die Idee wesentlich besser. Wenn wir erstmal unten drin sind, kann uns eigentlich nicht mehr viel passieren. Aber richtig sicher ist sie sich immer noch nicht, ob sie mitkommen will …
  • 🎧️🥰

Do 28. September 1961

  • 🎧😯️
  • Boah, wir haben vermutlich nicht mehr viel Zeit. Bald wird Peters Flucht auffliegen.
  • Jetzt auch wieder. Da hat mich die Verkäuferin im Konsum gefragt, wo denn der Peter ist ... Sie hat ihn schon so lang nicht mehr gesehen. So langsam fällt auch den Nachbarn auf, dass irgendwas nicht stimmt. Hab erzählt, dass es ihn erwischt hat und er krank im Bett liegt. Mal sehen, wie lange das noch gut geht ...

  • Ich glaube, Papa macht sich Sorgen um mich. Er meinte schon: “Michachen schaffst du das denn auch alles?”
  • Aber klar doch, ich will ja auch weg und unbedingt mithelfen. Ich bin doch schon groß. Ich konnte ihn zum Glück etwas beruhigen.

Fr 29. September 1961

  • Durch die Kanalisation … das wird bestimmt nicht nur nass, sondern auch echt eklig! Papa hat noch irgendwo Gummistoff aufgetrieben und will uns Gummianzüge nähen.

  • Er ist ja eigentlich Schneider und richtig gut da drin. Aber er darf hier nicht mehr als Schneider arbeiten. Sogar seine Meisterprüfung haben sie ihm versaut. Angeblich, weil er “politisch ungeeignet” ist. Stattdessen muss er als Filmabroller im Lichtspielhaus arbeiten.
  • Aber er hat noch unter der Hand geschneidert, auch für Leute aus West-Berlin. Aber die können ja jetzt nicht mehr zu ihm kommen. Mit dem Schneidern konnte er für uns immer ein bisschen was extra verdienen.
  • Guck mal, das ist ein Foto von meinem Vater an der Nähmaschine:

  • Redaktion
    Foto: Stiftung Berliner Mauer, Schenkung Michael Synowzik

    👉️ Berufsverbot
    Warum konnte Michas Vater nicht mehr als Schneider arbeiten? Die DDR lenkte nicht nur die Vergabe von Ausbildungs- und Studienplätzen nach politischen, planwirtschaftlichen Vorgaben. Berufsverbote wurden auch immer wieder gegen Personen ausgesprochen, die sich allzu kritisch über die Regierung oder den Sozialismus äußerten. Manchmal reichte auch schon die Ablehnung, einer der sozialistischen Massenorganisationen wie FDJ oder Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (FDGB) beizutreten. Später war das Berufsverbot ein beliebtes Mittel gegen Ausreisewillige oder systemkritische Künstlerinnen und Künstler.

    Hier seht ihr den Versicherungsausweis von Michas Vater, in dem der Berufswechsel markiert ist.

    ✍️ Die Redaktion

So 01. Oktober 1961

  • Endlich haben wir einen Plan. Gestern haben wir lange vor einer Karte gesessen. Und schließlich hat Helmut vorgeschlagen, dass wir durch die Kanalisation unter der Friedrichstraße gehen. Die Straße ist so breit, da muss es einen großen Kanal geben. Und dort ist auch ein Grenzübergang mit einem Kontrollpunkt der Amis ... 😬
  • Das ist ideal. Denn wenn wir erwischt werden, sind die Amis in der Nähe und die Vopos schießen dann hoffentlich nicht sofort auf uns. Das trauen die sich bestimmt nicht!
  • ☝️ Genau hier wollen wir durch die Kanalisation

    Ausschnitt Stadtplan von Berlin, 1959 © VEB Landkartenverlag
  • Redaktion
    Bild: Bau des Kontrollhäuschen der US-Armee in der Friedrichstraße, September 1961 © akg-images / picture-alliance / dpa

    👉️ Im Zuge des Mauerbaus hatte die DDR in der Friedrich- Ecke Zimmerstraße in Berlin-Mitte eine Grenzübergangsstelle eingerichtet, und zwar nur für die West-Alliierten und Personen aus dem Ausland. Personen aus West-Berlin und der Bundesrepublik mussten andere Grenzübergänge nutzen. Die West-Alliierten protestierten gegen diese Einschränkung ihrer Rechte im geteilten Berlin, akzeptierten sie letztendlich aber. Die USA errichteten in der Friedrichstraße einen Kontrollpunkt, um den Grenzverkehr und die Wahrung ihrer Rechte zu überwachen: den Checkpoint Charlie.

    ✍️ Die Redaktion

Mo 02. Oktober 1961

  • Helmut übernachtet jetzt ab und zu bei uns. Ich weiß immer noch nicht so recht … Er ist mir einfach unangenehm.
    Papa und er wollen sich heute in der Nähe der Friedrichstraße mal umschauen. Papa hat sich dafür sogar auf der Arbeit krankgemeldet.

  • Sie wollen eine gute Stelle in der Nähe der Grenze suchen, wo wir einen Gulli öffnen und runtersteigen können. Das darf ja niemand mitkriegen, vor allem nicht die Vopo.
  • Mist! Sie konnten nicht viel auskundschaften. Es ist einfach nicht möglich, so dicht an der Grenze herumzulaufen und nicht aufzufallen. Je näher sie rankamen, desto öfter sahen sie Grenzposten. Und sie wollten von denen echt nicht angesprochen werden.
  • Aber sie haben vielleicht eine Stelle entdeckt, wo wir einsteigen können. Irgendwo Nähe Hausvogteiplatz.

Mi 04. Oktober 1961

  • Endlich kann ich auch was beitragen. Ich geh heute Nachmittag Gullideckel zählen, vom Hausvogteiplatz bis zur Grenze. Dann wissen wir unten im Kanal hoffentlich besser, wo wir in etwa sind und wann wir im Westen angekommen sind. Papa und Helmut haben mich gefragt, ob ich das machen kann. Ist nicht so auffällig, wenn sich ein Kind an der Grenze rumtreibt.
  • 🎧😉
  • Kann´s immer noch nicht glauben, dass der Grenzposten mir das abgekauft hat. Er hat mich sogar mit in den Grenzübergang genommen und hat mir dort alles erklärt! Habe die Gelegenheit genutzt und nach Gullideckeln Ausschau gehalten. Leider konnte ich nicht so viel sehen. Der Grenzübergang ist echt lang und die Straße ist mit dicken Betonklötzen gesperrt. Das war blöde. Aber zumindest konnte ich die Gullideckel bis zur Grenze zählen: 16! Hoffentlich habe ich mich nur nicht verzählt …

  • Das war echt komisch da im Grenzübergang. Der Westen war zum Greifen nah. Am liebsten wäre ich einfach losgerannt.

Fr 06. Oktober 1961

  • Helmut war gestern nochmal am Hausvogteiplatz und hat ein Trümmergrundstück entdeckt. Dort können wir warten, bis die Luft rein ist und dann hoffentlich unbemerkt den Gulli öffnen. Das ist richtig gefährlich. Aber wenn wir erstmal unten sind, müssen wir nur noch in die richtige Richtung laufen.
  • Helmut meint, dass das Abwasser Richtung West-Berlin fließt und wir eigentlich nichts falsch machen können. Hoffentlich hat er recht. Eigentlich wissen wir ja gar nicht richtig, was uns da unten erwartet.
  • Am Wochenende müssen wir noch ein paar Dinge besorgen. Papa will auch die Gummianzüge fertig nähen. Er hat jetzt endlich den festen Zwirn, den er braucht. Der war nirgends aufzutreiben … Onkel Max konnte aber aushelfen. Zum Glück hat er nicht gefragt, wofür wir den brauchen.

  • Bin echt erleichtert. Denn ohne die Anzüge da unten rein? Lieber nicht! Gegen den Geruch hat Papa Baldriantropfen besorgt. Die können wir auf Watte tröpfeln und uns dann in die Nase stopfen. Hoffentlich hilft das …

So 08. Oktober 1961

  • Gestern waren wir am Alexanderplatz im großen HO-Kaufhaus und haben zwei WERRA-Kameras gekauft. Papa will im Westen niemanden auf der Tasche liegen und hofft, die Kameras dort schnell verkaufen zu können … Die Kameras finden wohl auch Leute im Westen toll.

  • Der Verkäufer war ganz schön misstrauisch, weil wir direkt zwei kaufen wollten. Aber ich hab gleich geschaltet und das bettelnde Kind gespielt. Dann hat er nichts mehr gesagt. 😄
  • Das ist eine der Kameras. Toll, oder? Am liebsten würde ich sie mal ausprobieren.

    📷️ Bild: @foto.freunde
  • Papa will auch das silberne Hummer-Besteck mitnehmen. Das können wir dann auch verkaufen.
  • Hoffentlich kommt Papa bald wieder. Er ist heute nach Blankenfelde in den Garten gefahren, um Werkzeug zu holen. Das brauchen wir für den Einstieg. Irgendwie müssen wir den Gullideckel öffnen.

Mo 09. Oktober 1961

  • Papa ist gestern erst ziemlich spät aus dem Garten zurückgekommen. Das hat echt wegen der blöden Mauer den ganzen Tag gedauert. Aber nun haben wir das nötige Werkzeug ...

  • Papa meint, es könnten auch irgendwelche Sperren in der Kanalisation sein. Ohne Werkzeug wären wir dann aufgeschmissen. Aber viel können wir nicht mitnehmen. Nur das Nötigste. Das muss alles in Papas Aktentasche passen.
  • Schwierig wird´s auch den Gullideckel rauszuheben, vor allem weil´s schnell und leise gehen muss. Der ist ja ganz schön schwer. Papa will das irgendwie mit einem Seil machen?!

Di 10. Oktober 1961

  • 🎧😯️
  • Puuh, in der Schule haben mir alle meine Freunde total nett gratuliert und ich musste sie anlügen. Hab gesagt, dass ich nicht feiern darf. Jürgen wollte mir das gar nicht glauben. Den ganzen Tag schon so dämliche Ausreden! Bin jetzt alleine zu Hause, Papa ist unterwegs. Immerhin hat er mir mein Geschenk auf den Wohnzimmertisch gelegt: ein richtig toller Federhalter aus Glas, mit so ner bunten gedrehten Glasfeder 😊
  • 🥴
  • Du glaubst es nicht! Musste gerade wieder zur Tür. Und wer steht da? Margit, Jürgen und noch drei andere Freunde. Sie wohnen in der Nähe und sind einfach so gekommen … Ich freue mich tierisch, vor allem über Margit. Und sie haben Briefmarken für mich gesammelt! Gut, dass genug Kuchen da ist. Hab ja auch noch meinen leckeren Streuselkuchen gebacken.

  • Ich hab kaum einen Bissen runter gekriegt und auch beim Monopoly spielen war ich total abgelenkt. Musste immer daran denken, dass ich meine Freunde bald alle nicht mehr sehen kann … und dass Papa, Tante Luzie und Helmut heute Abend noch den Fluchtplan besprechen.

  • Hoffentlich haben meine Freunde nichts bemerkt. Vor allem als gerade auch noch Helmut kam. Die kennen ihn ja gar nicht. Hab ihn schnell als Freund von Peter vorgestellt.

Mi 11. Oktober 1961

  • Papa, Tante Luzie und Helmut haben gestern noch lange über den Fluchtplan geredet. Samstag ist es endlich soweit! Helmut macht Papa aber ganz schön Druck. Ich glaube, der hat richtig Angst erwischt zu werden. Auf der Arbeit fragen sie ihn immer wieder, wo Peter ist.
  • Aber das geht uns ja genauso. Keine Ahnung, wie lange mir die Nachbarn noch glauben, dass Peter krank ist …

  • Ich will einfach nur noch weg. 😔 Es ist so schwer, die ganze Zeit dicht zu halten.
  • 🎧😯️
  • 🎧😉
  • Das Lachen tat richtig gut.😄 Wir sind alle so angespannt. Aber das Anziehen müssen wir echt noch üben. Wir können die Anzüge ja erst kurz vor dem Einstieg in den Kanal anziehen. Und dann muss das ganz leise klappen, sonst fallen wir sofort auf!

Do 12. Oktober 1961

  • 🎧😯️
  • Papa hat sie echt nicht mehr alle! 😤 Will der seine Nähmaschine mitnehmen… Ich kann ja verstehen, dass er im Westen direkt wieder arbeiten will. Aber das große Ding? Durch die Kanalisation?!
  • Er baut jetzt dafür eine kleine Karre aus Brettern, damit er das Ding ziehen kann. Hinterher fliegen wir noch wegen der blöden Nähmaschine auf. Helmut ist auch dagegen, aber Papa lässt sich nicht abbringen.
  • Ich überlege auch schon die ganze Zeit, was ich mitnehme. Gar nicht so einfach. Ich hab ja nur meinen kleinen Rucksack …

  • Was würdest du denn auf so einer Flucht mitnehmen?

Fr 13. Oktober 1961

  • Hab mich entschieden: Ich nehme mein kleines Briefmarkenalbum mit! Die neuen Briefmarken von meinen Freunden hab ich schon einsortiert. Dann hab ich eine schöne Erinnerung. Alles andere lass ich hier …

  • Papa hat unsere wichtigen Papiere schon wasserdicht verpackt. Das macht er auch heute noch mit meinen Briefmarken. ☺️
  • Wir haben jetzt für morgen Abend nochmal alles genau besprochen: Tante Luzie wird als Erste um 6 losgehen. Sobald das Licht in ihrer Küche aus ist, gehen dann Papa und Helmut. Ich soll als Letzter los. Falls unterwegs dann irgendwas passiert, soll ich einfach umdrehen und zurück nach Hause.
  • Wir wollen auf dem Trümmergrundstück warten, bis niemand mehr zu sehen ist. Dann müssen wir schnell den Gullideckel öffnen, rein in die Gummianzüge und runter in den Kanal. Puh!
  • Im Kanal soll Helmut vorangehen, mit einer leuchtenden Taschenuhr, damit wir ihn sehen. Dann folgen ich und Tante Luzie. Und Papa geht am Ende und zieht die kleine Karre. Oh Mann, hoffentlich geht nichts schief …

Sa 14. Oktober 1961

  • Boah, hab kaum geschlafen. Heute ist es so weit. Aber vorher muss ich noch in die Schule. Ich hoffe, keiner merkt mir was an … Wie soll ich mich da bloß konzentrieren?

  • 🎧😢
  • Oh Mann ... eigentlich hatte ich Papa ja ganz fest versprochen, meinen Schnabel zu halten und niemandem von der Flucht zu erzählen und jetzt hab ich's ja doch gemacht. 😣 Aber ich konnte nicht anders. Margit und ich hatten noch nie Geheimnisse voreinander und zu gehen, ohne ihr was zu sagen, fand ich einfach schrecklich.

  • Wir sind alle so aufgeregt, aber versuchen ruhig zu bleiben. Über Pläne reden ist sowas von anders, als wenn es dann wirklich Ernst wird. 😳
  • 🎧😯️
  • 🥴
  • Die anderen sind dann gleich hoffentlich am Ende der Straße, wo wir uns treffen. Dann fahren wir alle zusammen zum Trümmergrundstück. Ich hoffe so sehr, dass alles glatt geht. 😥 Alles andere will ich mir überhaupt nicht vorstellen.
  • Wir sind da, aber hier ist noch viel zu viel los. 😓 Wahrscheinlich weil Samstag ist … Unser Plan haut nicht hin. Am Trümmergrundstück können wir uns nicht so lange rumtreiben. Wir müssen was anderes finden!

  • Ich halte das echt nicht mehr lange aus. Wir sitzen jetzt schon seit Stunden hier in so ner Ladenruine und verstecken uns. Aber es laufen immer noch alle paar Minuten Leute draußen auf der Straße vorbei. Man hört sie reden. Und wir dürfen keinen Mucks von uns geben und uns am besten gar nicht bewegen. 😰

So 15. Oktober 1961

  • Endlich ist es still draußen. Gleich trauen wir uns raus. Hoffentlich geht alles gut. Ich hab wahrscheinlich ne ganze Weile keine Zeit, dir zu schreiben …

  • 🎧😯️
  • 🎧😢
  • Alle sind noch total erschöpft von gestern. Wir haben so viel Glück gehabt! So verdreckt wie wir waren, die vollgepackte Karre und dann mitten in der Nacht … Ich glaube, der Vopo hat was geahnt und hat uns trotzdem laufen lassen. Ich hab so gezittert. Der Schreck sitzt mir noch tierisch in den Knochen.

  • Papa und Helmut beraten sich schon über den nächsten Versuch. Ich glaube, Tante Luzie will nicht mehr. Sie muss aber mit! Ein Leben im Westen ohne sie kann ich mir nicht vorstellen … 😟 Aber wir müssen es unbedingt noch mal versuchen!!!

  • Jetzt muss ich mich auch noch um die Hausaufgaben für Montag kümmern! 😒 Gar keine Lust! Hauptsache, die merken mir morgen nix an in der Schule.

Mo 16. Oktober 1961

  • Gleich muss ich zur Schule und so tun, als wäre am Wochenende nichts gewesen … Ich will den Tag einfach nur hinter mich bringen.

  • Margit war ganz schön überrascht mich zu sehen 🥴 Ich meinte nur: „Hat nicht geklappt!“ und sie hat´s sofort kapiert.
  • Aber ich will einfach nur schnell nach Hause. Das ist einfach so schrecklich 😩 In der letzten Stunde hat´s an die Klassentür geklopft und ich dachte: “Jetzt ist alles vorbei! Die Stasi holt mich ab.” Mein ganzer Körper hat gezittert 😭 Hoffentlich hat keiner was gemerkt …

Di 17. Oktober 1961

  • Ich weiß immer noch nicht, ob Tante Luzie nochmal mitmacht und traue mich auch nicht, sie zu fragen 🥴 Das Wochenende hat sie von uns allen am meisten mitgenommen. Sie ist mächtig aufgewühlt.
  • Immerhin liegen ihre ganzen Dokumente noch verpackt bei uns 👍️ 👍️ Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen! Papa will heute auch nochmal zu ihr rüber und sie überzeugen. Ich hoffe, sie sagt ja!

Mi 18. Oktober 1961

  • Helmut macht weiter Druck. Er hält es gar nicht mehr aus und will so schnell wie möglich weg. Ich glaub, der hat richtig Schiss … Bei der Arbeit verlangen die jetzt eine richtige Krankmeldung von Peter. 😰

  • Papa ist auch ganz durcheinander 🥴 Ich glaube aber, er will es nochmal versuchen. Er hat mich sogar gefragt, was ich denke und ob er mir noch einen Versuch zumuten kann … 🤔 Aber sowas von! Lieber heute als morgen!

  • 🎧😯️
  • Wir probieren es wieder am Samstag. Dann fällt es nicht so schnell auf, dass wir weg sind. Denn Schule ist ja erst wieder Montag. Zur Not gehen wir auch ohne Tante Luzie 😭😭

Do 19. Oktober 1961

  • Ich hab das Gefühl, dass echt alles drunter und drüber geht, seitdem Peter heimlich abgehauen ist. Papa steht ja eh schon im Visier der Stasi. Wenn das auffliegt und dann auch noch unsere Fluchtpläne rauskommen 😳 Wir können einfach nicht länger hierbleiben ...

  • Hoffentlich kommt Papa gleich nach Hause 😣 Das Alleinsein ist richtig schlimm 😢 Jedes Mal, wenn ich das Klacken vom Lichtschalter im Hausflur höre, zucke ich zusammen und denke: Jetzt kommense und holen uns.
  • Nachts schrecke ich bei jedem Geräusch hoch oder hab Albträume ... 😭
  • 🎧😢
  • Hoffentlich ist nach Samstag alles vorbei. Bis dahin muss ich noch durchhalten.

Fr 20. Oktober 1961

  • Margit hat mich vorhin angesprochen. Sie hat natürlich gemerkt, dass irgendwas los ist. Und da konnte ich nicht mehr dichthalten. Hab ihr zugeflüstert, dass wir es nochmal versuchen 🥴 Ich hätte ihr so gerne mehr erzählt, aber damit bringe ich sie nur in Schwierigkeiten. Besser, sie weiß nichts von dem Plan! 😬
  • Gleich gehen wir den Plan für morgen nochmal durch 👀 Hoffentlich kommt Tante Luzie mit!!! Wir wollen diesmal eine Stunde später los und uns direkt in der alten Ladenruine treffen. Dort warten wir dann bis die Luft rein ist und versuchen wieder, am Trümmergrundstück in den Kanal zu kommen.
  • Zum Glück bleibt Papas Nähmaschine diesmal zu Hause! 👍️ Ich weiß immer noch nicht, wie er die in den Kanal bekommen wollte 🤦‍♂️ Auch wenn sie uns das letzte Mal gerettet hat …

Sa 21. Oktober 1961

  • Nach der Schule konnte ich mich sogar noch aufs Ohr hauen, Kräfte sammeln! Es wird ein langer Abend. Erst nach Mitternacht wollen wir in den Kanal einsteigen. Dann ist der Grenzübergang zu und auf der Straße hoffentlich nichts mehr los …
  • Juhuu, Tante Luzie kommt mit!!! Ich bin so erleichtert! 🥰 Ich bin noch viel aufgeregter als letzte Woche. Heute Nacht muss es einfach klappen!
  • Unsere Sachen sind noch vom letzten Mal gepackt, nur die Gummianzüge mussten wir noch unauffällig verpacken. Bis spätestens halb 9 muss ich am Versteck sein. Wieder zu Fuß zum U-Bahnhof, dann mit der U-Bahn bis Stadtmitte, am Trümmergrundstück vorbei und zum Versteck.

  • 🎧😯️
  • Ich konnte es mir eben einfach nicht verkneifen und hab einen kleinen Umweg zum Gullideckel gemacht. Bin einmal drum rum gelaufen und hab drauf getreten! 🤪
  • Bin jetzt in der Ladenruine und sitze wieder auf dem Ölfass. Beinahe hätte ich vorhin einen Höllenlärm gemacht. Bin auf den Stufen gestolpert, aber Helmut in die Arme gefallen 😬 ...
  • Puh, mag nicht daran denken, wie lange wir hier nun wieder ausharren müssen … Das war letztes Mal echt schlimm. Wir sitzen alle wieder an unserem Platz und versuchen, uns nicht zu bewegen und mucksmäuschenstill zu sein.

  • Au Backe, jetzt ist schon ganz schön viel von dem Würfelzucker weg 😳 Hab aus Langeweile ein paar Stücke gegessen und dann sind mir wohl ein paar Krümel runtergefallen. Plötzlich hat’s ganz leise geraschelt und gepiepst: Mäuse!? Oder Ratten? Man sieht ja hier nix. Aber jetzt hab ich wenigstens was zu tun und kann sie füttern. Du glaubst gar nicht, wie langsam die Zeit vergeht …

So 22. Oktober 1961

  • Es geht endlich endlich los! Helmut hat nach draußen gespäht und es ist keiner auf der Straße. Hoffentlich kommt uns diesmal keiner entgegen!
  • Liegen jetzt bäuchlings hinter Büschen auf dem Trümmergrundstück und warten. Fühlt sich an wie ein Abenteuer! Nun müssen wir ganz leise in die Gummianzüge kommen … Und den Gullideckel aufkriegen!

  • Papa und Helmut haben ihre Schutzhosen schon an und Seile in die Schlitze von dem schweren Gullideckel gefummelt, um ihn anzuheben. Jetzt müssen wir auch schnell in die Anzüge.
  • Oh nee, sie kriegen den verdammten Deckel nicht hoch! Wenn das jetzt noch lange dauert, sind wir geliefert. Das Ding bewegt sich nicht einen Millimeter!
  • Geschafft! Mit einem Holzbalken als Hebel hats geklappt!!! 😃 Unser Weg in den Westen ist frei! Ich muss jetzt erstmal aufhören mit schreiben.
  • Wir sind wieder zurück in der verdammten Ladenruine 😪 Ich kann nicht mehr und Tante Luzie ist auch richtig verzweifelt. Zum Glück sitze ich nah neben ihr. Ein paar Minuten eher und wir wären jetzt längst unten im Kanal!
  • Als der Gulli offen offen war, ist im Haus gegenüber das Licht im Flur angegangen. Und dann kamen richtig viele Leute raus, quatschend und lachend, wahrscheinlich von einer Feier. Und wir lagen nur ein paar Meter entfernt im Dreck! Zum Glück konnten Papa und Helmut den Deckel vorher noch zumachen. Und dann sind wir schnell weg, bevor noch mehr Leute rauskommen … Ich könnte heulen.

  • Wir wollen es später nochmal versuchen. Also weiter warten 😔 Helmut ist sauer, er wollte es vorhin direkt wieder probieren. Er geht jetzt nochmal raus. Gucken, wie die Lage ist.
  • Helmut ist immer noch nicht wieder da ... Papa wird langsam auch schon ganz unruhig. Da stimmt was nicht, der ist zu lange weg!

  • 🎧😢
  • 🥴
  • Oder ist er vielleicht ohne uns in den Kanal?! Als Helmut nicht wiederkam, hat Papa beschlossen, abzubrechen. 😩😔
  • Wir sind erst seit 7 wieder zu Hause! Am Nachmittag wollen Papa und Tante Luzie beraten, wie es weitergeht. Was machen wir, wenn wir auffliegen?!?!
    Ich will jetzt einfach nur noch schlafen!!!
  • Papa hat mich vorhin geweckt. Er sah richtig fertig aus, hatte Tränen in den Augen. Nochmal schafft er das nicht, meint er. Aber was wird dann werden??? Wenn Helmut verhaftet wurde und uns verrät, wird Papa doch auch festgenommen und ich muss ins Heim! Und Tante Luzie sehe ich dann auch nie wieder! 😭😨 Wir müssen es noch ein allerletztes Mal versuchen!!!
  • Hab nochmal geschlafen. Ich bin immer noch hundemüde. Tante Luzie ist jetzt da. Sie sitzt im Wohnzimmer und Papa erzählt ihr von unserem heftigen Gespräch … Ich hab da sowas von dolle geheult vorhin 🥴 Mal sehen, wie sie über alles denkt …

Mo 23. Oktober 1961

  • Bin heute ohne Hausaufgaben in die Schule. Die schlechten Noten sind mir jetzt egal! Hat doch eh alles keinen Sinn mehr hier.
  • Margit hat´s mir direkt angesehen. Ich hab ihr nur kurz zugeflüstert: "Ging wieder nicht." Mehr brauchte ich auch nicht sagen …

  • 🎧😯️
  • Papa sieht auch ganz ausgelaugt aus. Der ist kaum wiederzuerkennen. Die Unwissenheit, ob Helmut verhaftet wurde und uns verrät, macht ihn genauso fertig wie mich.

Di 24. Oktober 1961

  • Die Nacht war heftig. Ständig diese Albträume. Ich hab mir so übel auf die Zunge gebissen, dass es geblutet hat.
  • Vorhin bin ich an Peters Wohnung vorbei gelaufen. Wollte wissen, ob die Stasi schon irgendwas mitbekommen hat. Konnte aber nichts sehen …

  • Seit Helmut verschwunden ist, hab ich noch mehr Angst. Hab draußen dauernd das Gefühl, verfolgt zu werden. Und in der Wohnung ist es fast noch schlimmer. Reicht schon, dass ich Schritte im Flur höre …

  • Was wohl mit ihm passiert ist? Ich mochte ihn zwar nie und bin froh, dass er nicht mehr so oft bei uns ist. Aber wenn er jetzt echt verhaftet ist …

  • Redaktion
    ❗️ Content Note

    In zwei Nachrichten von morgen wird sexualisierte Gewalt thematisiert. Wenn du dich mit diesem Thema unwohl fühlst, kannst du auf den Button unten klicken und du bekommst diese Nachrichten nicht. Wenn du dir unsicher bist, sprich vorher mit einer dir vertrauten Person.

    Du verpasst dadurch nichts von Michas weiterer Fluchtgeschichte.

Mi 25. Oktober 1961

  • Ich bin aber auch richtig erleichtert, dass Helmut weg ist. Ich muss es jetzt mal los werden: Seit meinem Geburtstag ist er mir immer näher gekommen. Vor allem, wenn ich mit ihm alleine war. Es hat mit Gute-Nacht-Küsschen angefangen und wurde immer schlimmer … Das war mir so unangenehm, aber ich wusste auch nicht, was ich machen sollte.

  • Ich konnte da bisher mit niemandem drüber reden. Erst recht nicht mit Papa. Ich will Helmut auf keinen Fall wiedersehen. Auch deswegen muss ich hier unbedingt weg.
  • Ich glaube, Papa will doch noch einen Versuch wagen. Hab aber auch doll gedrängelt. 😏 Gestern hat er noch mit Tante Luzie gesprochen. Gleich kommt sie zu uns rüber. Ich hoffe, sie ist dabei...
  • Ich bin so erleichtert! Wir versuchen es tatsächlich noch einmal. Dieses Mal nicht am Wochenende, sondern morgen. Und das Beste: Tante Luzie kommt mit. Und Papa und Tante Luzie wollen sogar im Westen heiraten. Ich bin überglücklich! Aber bei ihr auf der Arbeit muss irgendwas vorgefallen sein … ihr geht es gar nicht gut und sie hat tierische Angst, dass alles ans Tageslicht kommt. Da bleibt nur die Flucht.

Do 26. Oktober 1961

  • 🎧️
  • 🎧️
  • Papa macht sich Sorgen, dass wir den Gullideckel nicht alleine aufbekommen. Dieses Mal müsste es aber einfacher gehen: Wir haben den Deckel letztes Mal ja schon gelockert. Und diese Metallwanne unter dem Deckel rausgenommen … 😬 In zwei Stunden soll es losgehen!
  • Diesmal wollen wir die Gummianzüge auf dem Trümmergrundstück schon komplett anziehen. Wir haben alles handlicher verpackt. Die zwei Fotoapparate und das Briefmarkenalbum sind jetzt in meinem Rucksack. Tante Luzie nimmt den Dokumentenbeutel. Und in Papas Aktentasche sind die Werkzeuge und die Hummergabeln. Das Wertvollste, was wir mitnehmen.
  • Die haben wir von einer entfernten Tante geerbt, aber nie benutzt. Sind aus echtem Silber!
  • Die beiden sind jetzt los, diesmal gehen wir alle zu Fuß. Papa hat mir gut zugeredet. Er ist mächtig stolz auf mich. Ich schaff das schon! Komisch, jetzt wieder als Letzter aus der Wohnung zu gehen. Ist es dieses Mal für immer? Was machen die dann wohl mit unseren Sachen?
  • 🎧️
  • Puuh, die Metallwanne steht tatsächlich noch an der Hauswand beim Gulli! Hab extra auf dem Weg nachgeguckt. Als ich hier zur Ladenruine gekommen bin, war es so leise, da ging mir richtig die Pumpe! Ich dachte erst, da ist keiner … Aber dann hörte ich ein Flüstern: “Micha?” 😌 Jetzt müssen wir wieder ewig warten …

Fr 27. Oktober 1961

  • Papa schaut, ob draußen alles ruhig ist. Hab Angst! Was ist, wenn er auch verschwindet, wie Helmut? Wenn er nach einer Stunde nicht zurück ist, sollen wir abbrechen.
  • Endlich ist Papa zurück. Ich bin total erleichtert. Die Luft ist wohl rein. Alles ist vorbereitet und liegt griffbereit am Trümmergrundstück. Los geht´s!
  • Was ein Glück! Gerade als Papa los ist zum Gulli, kam ein Polizeiwagen. Wir konnten uns noch hinter den Büschen verstecken. Sie haben mit dem Handscheinwerfer direkt auf das Grundstück geleuchtet, aber sie haben uns nicht entdeckt.

  • Jetzt oder nie! Ich weiß nicht, ob ich dir da unten schreiben kann. Ich melde mich.
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  • Wir sind jetzt drin! Fühle mich irgendwie schon sicherer. Was soll jetzt noch passieren?!
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  • Es ist stockfinster. Wir können uns überhaupt nicht sehen und höchstens flüstern! Wir berühren uns jetzt immer am Rücken, um zu zeigen, dass alle da sind.
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  • Da vorn ist Licht! Mist, da ist ein Gullideckel offen. Der wird bestimmt bewacht … und noch viel schlimmer: im Kanal ist ein Eisengitter!

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  • Papa meint, wir können drunter durchtauchen. Ich soll´s als Kleinster zuerst versuchen. Aber erstmal muss die blöde Gummi-Jacke aus.
  • 🎧️
  • Geschafft! Aber Tante Luzie wäre fast ertrunken!!! Sie ist an den Zinken vom Gitter hängen geblieben! Aber wir konnten sie gerade noch retten … Erzähl ich dir später nochmal.

  • Ob wir wirklich schon im Westen sind? Müsste doch eigentlich! Aber vielleicht war das Gitter vor den Grenzanlagen?
  • Sind jetzt zur Sicherheit noch ein paar Schächte weitergelaufen. Oben ist es irre laut … Was ist da nur los? Klingt wie Panzer ... und viele Leute.

  • Wir können nicht mehr. Wir müssen hier raus! Haben es schon bei drei Deckeln versucht, aber es geht nicht! Sie klemmen! Und niemand hört uns! Wir müssen noch weiter …

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  • 🎧️
  • Zum Glück war Papa so streng und hat mich zurückgepfiffen, als ich gemerkt hab, dass der Gullideckel lose ist ... Der war direkt auf der Straße, mit viel Verkehr. Das war echt gefährlich! Da hätte mir ein Auto über die Hände fahren können …

  • Papa hat den Deckel vorsichtig auf und ab bewegt. Und dann war ein Quietschen und Gehupe zu hören. Und auf einmal war es so hell!!! Der Deckel wurde abgehoben. Und es waren keine Grenzsoldaten! 😌 Ich hörte Papa fragen: “Sind wir im Westen?” “Na klar, kommt raus!” rief jemand, und “Da ist ja noch ein kleiner Junge!” Und dann weiß ich nicht mehr viel, bin wohl in Ohnmacht gefallen.
  • Der Krankenwagen hat uns direkt zur nächsten Polizeistation gebracht. Die haben uns dort alle ganz entgeistert angestarrt. Und wir müssen so gestunken haben … 😬 Waren jetzt aber duschen und haben Anziehsachen aus der Kleiderkammer bekommen. Den ollen Gestank habe ich aber immer noch in der Nase. 🤢

  • Oh, musste mich gerade vor allen übergeben und dann auch noch flennen. 😳 Der nette Polizist meinte es gut und hat mir Hering angeboten. Das war zu viel für mich … die Mischung aus Fischgeruch und Kloake!

  • Wir sind jetzt im Notaufnahmelager. Ich kann nicht mehr. Auf der Fahrt hierhin bin ich direkt weggepennt. Ich will jetzt einfach nur noch schlafen und sonst nix.
  • Redaktion
    💡👉 Die Redaktion merkt an:

    Hier siehst du die Meldung der West-Berliner Polizei zur Kanalflucht von Micha, seinem Vater und Tante Luzie.

    Bild: © Polizeihistorische Sammlung Berlin.

Sa 28. Oktober 1961

  • Redaktion
    🔎 Zu den Hintergründen:

    Micha erinnert sich daran, unten im Kanal Panzergeräusche gehört zu haben. Es waren am Freitagmorgen vermutlich noch keine Panzer, aber andere Militärfahrzeuge sind sehr wahrscheinlich. Denn schon seit Tagen schwelte am Checkpoint Charlie ein Konflikt zwischen den USA auf der einen und der DDR sowie der Sowjetunion auf der anderen Seite.
  • Redaktion
    🎬💡️ © Stiftung Berliner Mauer
  • 🎧😢
  • Ich versteh das nicht … muss unbedingt mit Papa reden … das ist so gemein von ihm! Ich bin stinksauer!

  • Bei allem, was sie bei der Flucht durchgemacht hat! Sie wäre ja fast ertrunken. Nach dem Runtertauchen kam sie ewig nicht hoch und dann bin ich zu ihr runter. Sie steckte unterm Gitter fest! Nur mit Ziehen und Schieben haben Papa und ich sie da durch gekriegt. Und jetzt diese Enttäuschung. 😪

So 29. Oktober 1961

  • Ich muss unbedingt mal aus diesem kleinen Zimmer hier raus. Wir müssen uns alle eins teilen. Und endlich bin ich wieder in West-Berlin! Da muss ich mir doch alles angucken … Wie die Mauer wohl von hier aussieht? Heute geht´s aber erstmal zu Tante Tilli und Onkel Alfred. Juhuu! Die hab ich ewig nicht gesehen. Bin also erstmal beschäftigt …

Mo 30. Oktober 1961

  • Heute muss Papa mit diesem Laufzettel rumrennen und ganz viele Stempel einsammeln. Für jede Station gibt es ein eigenes Zimmer! Beim Ärztlichen Dienst waren wir schon, als wir ankamen. Das ist hier wohl immer das Erste. War zum Glück alles gut. Trotz allem.
  • Weiter geht es heute mit drei “Sichtungsstellen”, eine amerikanische, eine britische und eine französische. Komischer Name, oder? Unser Zimmernachbar hat erzählt, dass das Geheimdienste sind. Was wollen die wohl von Papa wissen?
  • Redaktion
    🔎 Zu den Hintergründen:

    Einen solchen Laufzettel erhielt jede Person, die über die Grenze von Ost- nach West-Berlin geflohen oder ausgereist war und im Notaufnahmelager Marienfelde ankam. Es war zwischen 1953 und 1990 für 1,35 Millionen Menschen die erste Anlaufstelle im Westen. Hier wurden sie untergebracht und durchliefen ein Aufnahmeverfahren, dessen Stationen auf dem Laufzettel (mit Vorder- und Rückseite) vermerkt sind. Zwar galten Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR als deutsche Staatsbürgerinnen und -bürger, benötigten aber eine Aufenthaltsgenehmigung. Diese durfte nicht verweigert werden, sobald eine politische Verfolgung vorlag. Das Notaufnahmeverfahren endete mit einem Aufnahmeausschuss, der über das Aufnahmeersuchen entschied - auf Grundlage der im Verfahren gemachten Angaben und einer erneuten intensiven Befragung. Nach einem positiven Entscheid wurden die Antragstellenden einem Bundesland zugewiesen und aus West-Berlin ausgeflogen.
  • Redaktion

    ➡️ Bild: © Stiftung Berliner Mauer, Schenkung von Gudrun Pieper-Miersch. 📸

  • Wie gut, dass unsere Dokumente die Flucht einigermaßen überstanden haben! Wir hatten ja alles wasserdicht verpackt. Aber beinahe hätte ich’s vermasselt. Als wir in der Kanalisation unter dem Gitter durchtauchen mussten, sollte ich den Dokumentenbeutel kurz halten. Ich brauchte aber ja meine Hände, um den anderen zu helfen. Da hab ich ihn in so ´ner Spalte an der Kanalwand festgeklemmt. Als wir Tante Luzie befreit haben, bin ich bestimmt dagegen gestoßen. Hab nur noch gesehen, wie der Beutel von der Strömung weggeschwemmt wurde …

  • Als wir uns dann hinter dem Gitter überglücklich in den Armen lagen, wollte ich Papa nichts sagen. 😔 Ihm waren die Dokumente ja richtig wichtig … Hab´s ihm dann etwas später gesagt und er war echt sauer. Aber er hat mir keine Vorwürfe gemacht. Und du glaubst es nicht! Kurz vor unserem Ausstieg habe ich den Beutel wiederentdeckt! Er schwamm einfach an uns vorbei! Da musste ich nur zugreifen. 😳

  • Guck mal, sogar eins meiner Zeugnisse ist noch heile. Ist zwar bisschen nass geworden, aber man kann’s noch lesen. Auch, wenn ich das hier ja wohl nicht mehr brauche … Disziplinierter muss ich jetzt hoffentlich nicht mehr werden. 😄 Außerdem sind Papas Dokumente ja eh viel wichtiger jetzt.

Mi 01. November 1961

  • 🎧😯️
  • Ich bin ganz schön aufgeregt, aber das wird schon! Herr Sprotte, ein Freund von Papa arbeitet nämlich als Journalist. Er hat gefragt, ob er mich interviewen darf. Sowas hab ich noch nie gemacht! Zum Glück hat Papa ja gesagt. 😇
  • Papa und Tante Luzie sind immer noch mit dem Laufzettel beschäftigt 😬 So richtig bekomm ich das nicht mit. Nur was Papa erzählt. Sie müssen immer wieder dieselben Fragen beantworten. Warum wir geflüchtet sind. Was in Ost-Berlin und in der DDR so los ist. Wie die Versorgung ist. Warum ist das denn so wichtig?
  • Papa weigert sich immer noch, Tante Luzie zu heiraten … Das macht mich so wütend. Ich habe mir das so gewünscht. Aber Papa bleibt hart. Er will sich jetzt auf den Neuanfang mit mir konzentrieren …

  • Redaktion
    Was wurde aus: Tante Luzie?

    📝 Michas Vater Otto und Tante Luzie haben tatsächlich nie geheiratet. In Marienfelde hatte Luzie noch Hoffnung und gab an, mit ihrem “Bekannten” gemeinsam nach Westdeutschland gehen zu wollen. So kam es zunächst zwar auch - sie gingen zusammen nach Neuss und wohnten dort kurze Zeit noch zusammen. Michas Hoffnungen erfüllten sich aber nicht. Ihre Wege trennten sich und Tante Luzie zog nach West-Berlin. Micha und Tante Luzie haben später losen Kontakt, jedoch nie wieder so eng wie zu Ost-Berliner Zeiten. Heute hält Micha stetigen Kontakt zu Luzies Sohn und Enkelin.

    ✍️ Die Redaktion
  • Redaktion

    ➡️ Bild: Micha und Tante Luzie trafen sich 1965 zum letzten Mal persönlich. Dabei entstand dieses Foto am Flughafen Düsseldorf. 📸

Do 02. November 1961

  • Papa muss heute zum Aufnahmeausschuss. Der entscheidet, ob wir eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen und in die Bundesrepublik können. Wir wollen nach Düsseldorf in Nordrhein-Westfalen. Da haben wir Verwandte ☺️
  • Wenn alles glatt geht, dann fliege ich das erste Mal mit einer Propellermaschine. Das ist der Brüller! West-Berlin liegt ja mitten in der DDR und deshalb müssen wir fliegen. Wenn wir durch die DDR fahren, würden wir sofort verhaftet.
  • Juhuu! Am Montag ist es so weit! Wir fliegen in die Bundesrepublik nach Hannover, von da aus fahren wir dann nach Wesel in Nordrhein-Westfalen. Ich bin ziemlich aufgeregt.
  • Redaktion
    Hier siehst du den Bescheid, den Michas Vater nach der Anhörung vor dem Aufnahmeausschuss erhalten hat.
  • Redaktion

    ➡️ Bild: © Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Außenamt Gießen. 📸

  • Redaktion

    ➡️ Bild: © Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Außenamt Gießen. 📸

Fr 03. November 1961

  • Wenn wir jetzt bald in Westdeutschland sind, hören wir hoffentlich etwas von Peter. Ich hoffe, dass seine Flucht auch geglückt ist! Und wo Helmut wohl steckt?
  • Redaktion
    Was wurde aus: Peter?

    📝 Michas Bruder Peter war zusammen mit Wilfried, dem Sohn von Tante Luzie, am 16. September 1961 ebenfalls durch die Kanalisation nach West-Berlin geflüchtet. Nach einem kurzen Aufenthalt in einem Flüchtlingslager in West-Berlin wurde er in die Bundesrepublik ausgeflogen. Im Lager Friedland durchlief er das Aufnahmeverfahren. Danach lebte er einige Zeit bei Verwandten in Düsseldorf in Nordrhein-Westfalen. Über die Verwandten haben Micha und sein Vater erfahren, dass Peters Flucht geglückt ist. Die Familienverhältnisse waren jedoch so zerrüttet, dass sie keinen Kontakt aufnahmen. Micha und sein Bruder trafen sich erst 1966 und bauten wieder eine Verbindung zueinander auf. Über die Fluchten sprachen sie jedoch nie. Peter starb im Jahr 1977.

    ✍️ Die Redaktion
  • Redaktion
    Peter Synowzik, ca. 1961

    Bild: © Stiftung Berliner Mauer, Schenkung von Michael Synowzik
  • Redaktion
    Was wurde aus: Helmut?

    📝 Helmut wurde tatsächlich in der Nacht des zweiten Fluchtversuchs festgenommen. Ein Zivilist hatte gegen 1.30 Uhr am Morgen des 22. Oktober 1961 einen geöffneten Kanaldeckel in der Mohrenstraße entdeckt und die Volkspolizei verständigt. Diese verhaftete Helmut in unmittelbarer Nähe. In den Vernehmungen bei der Stasi verriet er nicht, mit wem er fliehen wollte. Er nannte aber die Namen von Peter und Wilfried, die im September ohne ihn durch die Kanalisation an etwa derselben Stelle geflohen seien. Am 19. Januar 1962 wurde Helmut zu einer Haftstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt. Nach seiner Haftentlassung lebte er zunächst in Thüringen, dann in Ost-Berlin. In den 1970er Jahren ist er in die Bundesrepublik ausgereist und lebte seit 1979 in Nordrhein-Westfalen, wo er 1996 starb. Micha sah Helmut nie wieder und erfuhr dies alles erst durch unsere Recherchen in diesem Projekt. ➡️ Bild: © Bundesarchiv.

    ✍️ Die Redaktion

Sa 04. November 1961

  • Redaktion
    ➡️ Übrigens: Das Notaufnahmelager Marienfelde dient heute immer noch zur Unterbringung von geflüchteten Menschen. Hier gibt es aber auch eine Erinnerungsstätte mit einer tollen Ausstellung. Wenn du also mehr darüber erfahren willst, wie Micha und andere Geflüchtete in West-Berlin ankamen, lohnt sich ein Besuch.

So 05. November 1961

  • Keine Ahnung, wann ich das nächste Mal nach Berlin kommen kann … Also bin ich nochmal an der Mauer unterwegs und guck mir ein paar Orte von der Westseite an. Gerade war ich auch am Checkpoint Charlie. Irre, dass wir hier drunter durch sind!!!

  • Blick von der Friedrichstraße in die Zimmerstraße, 1961

    Bild: © ullsteinbild, Foto: Volker Pawlowski
  • Meine Freunde fehlen mir jetzt schon. Bin gerade auch noch einmal zur Kronprinzenbrücke und hab zur Reinhardtstraße rübergeguckt … Tschüss, Margit, dich werde ich am meisten vermissen!

  • Redaktion
    Was wurde aus: Margit?

    📝 Nur Margit ahnte, was los war, als Micha am Freitag beim morgendlichen Fahnenappell fehlte, bei dem er sich wegen des Streits mit dem Russisch-Lehrer verantworten sollte. Einige Tage später hörte sie von der Lehrerin den lapidaren Satz: “Der Schüler Michael Synowzik kommt nicht mehr in unsere Schule. Sie wohnen nicht mehr hier!” Margit und er schrieben sich in den 1960er Jahren noch Briefe, verloren sich dann jedoch aus den Augen. Margit lebte weiterhin in Ost-Berlin und heiratete später Michas Spielkameraden Burkhard aus dem Vorderhaus. Die beiden wohnen noch heute in Berlin und sind freundschaftlich mit Micha verbunden.

    ✍️ Die Redaktion
  • Redaktion

    ➡️ Bild: Dieses Foto schickte Margit ca. 1965 an Micha. © Burkhard und Margit Ewald. 📸

Mo 06. November 1961

  • 🎧️🥰
  • Guck mal, da sind wir nun, wir drei - mächtig stolz und aufgeregt. Siehst du meine viel zu große Jacke?! 😄 Das sind die Anziehsachen aus der Kleiderkammer. Aber das ist jetzt ganz egal. Tschüss Berlin, ab in den Westen!
  • 🎧😉
  • Redaktion
    Was wurde aus: Micha?

    📝 Vom Durchgangslager Wesel aus wurde Micha für drei Monate zur Erholung in die Niederlande an die Nordsee geschickt. Er erlebte eine herzliche Gastfamilie in Den Haag, mit der er auch Weihnachten feierte, und lernte schnell Niederländisch. Überrascht hörte er dort zum ersten Mal sein eigenes Radio-Interview, das international ausgestrahlt wurde. Nach seiner Rückkehr schickte sein Vater ihn zur weiteren Erholung auf die Insel Sylt. Erst hier verschwand endlich der Geruch der Kanalisation aus seiner Nase. Danach ging Micha erst wieder zur Schule. Wegen der fehlenden Englisch-Kenntnisse - Russisch nützte hier nun nichts mehr - konnte er nicht auf ein Gymnasium gehen und besuchte daher die Volksschule. Mit seinem Vater, der endlich wieder seinen Beruf als Schneider ausüben konnte, lebte er in Neuss.

    ✍️ Die Redaktion
  • Redaktion
    1964 begann Micha eine Lehre als Schriftsetzer. Er trat in die Freiwillige Feuerwehr ein und wurde Jungfeuerwehrmann. Mit 17 Jahren zog er in seine erste eigene Wohnung nach Düsseldorf.

    Bild: © Stiftung Berliner Mauer, Schenkung von Michael Synowzik
  • Redaktion
    Dieses Bild von “seiner” Kronprinzenbrücke machte Micha 1971 von der West-Berliner Seite aus.

    Bild: © Stiftung Berliner Mauer, Schenkung Michael Synowzik
  • Redaktion
    Nach dem Mauerfall 1989 suchte er in Ost-Berlin die Orte seiner Kindheit auf und versuchte, damalige Freunde ausfindig zu machen. So traf er 1990 zum ersten Mal Margit wieder und ging auch zu seinem alten Wohnhaus in der Reinhardtstr. 47, wo sich nicht viel verändert hatte.

    Bild: © Stiftung Berliner Mauer, Schenkung von Michael Synowzik
  • Redaktion
    Sein richtiges Leben begann - so sagt es Micha heute - als er seine Frau Heidi kennenlernte und sie 1970 heiratete. Mit ihr lebt er heute glücklich in Nordrhein-Westfalen.
  • Redaktion
    Und damit verabschieden wir uns und sagen “bis bald!” (v. l. n. r.: Susanne, Birgit, Micha, Lisa, Leonie) Es war uns eine Freude, dir persönlich zu schreiben - ganz ohne KI.😉 Vielleicht sieht man sich mal an einem der Mauerorte der Stiftung Berliner Mauer? Dort kannst du noch mehr über die Teilung Berlins bis zum Fall der Mauer 1989 und über das Leben der Menschen in der geteilten Stadt erfahren. Wir bedanken uns bei der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Senatsverwaltung für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt beim Land Berlin, die dieses Projekt gefördert haben. Und unser Dank gebührt den Public History-Studierenden der FU Berlin (WS 2022/23), allen beteiligten Agenturen, dem Sprecher und der Sprecherin sowie den Leih- und Rechtegebern. Nicht genug danken können wir Micha und er hat das letzte Wort! Alles Gute wünscht die Redaktion Lisa, Birgit, Leonie, Jochen & Susanne
  • 🎧😉

Personen

In Michas Nachrichten tauchen verschiedene Personen auf, die wir hier vorstellen.

  • Portrait Michael Synowzik

    Michael Gerhard Synowzik (Micha)

    Michael Synowzik, genannt Micha, wurde am 10. Oktober 1948 in Ost-Berlin geboren. Zusammen mit seinem Vater lebte er in der Reinhardtstraße 47 in Berlin-Mitte, nahe der Sektorengrenze zu West-Berlin. Als am 13. August 1961 die Grenze abgeriegelt wurde, war er 12 Jahre alt. Die Flucht durch die Kanalisation nach West-Berlin zweieinhalb Monate später war für Micha ein einschneidendes Erlebnis und prägte sein Leben nachhaltig. Nach dem Mauerfall 1989 reiste er erstmals wieder nach Ost-Berlin und begann, sich mit seiner Geschichte auseinanderzusetzen.

  • Portrait Otto Synowzik

    Otto Synowzik (Vater)

    Otto Synowzik, geb. 1912, lebte mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen Peter und Michael in der Reinhardtstraße 47 in Ost-Berlin. Seine Frau starb 1955 an Tuberkulose, seitdem musste er allein für seine Söhne sorgen. Obwohl er gelernter Schneider war, durfte er den Beruf nicht ausüben, u. a. weil er nicht der SED beitreten wollte und die SED-Regierung kritisiert hatte. Notgedrungen arbeitete er in einem Filmtheater. Nebenbei übernahm er zu Hause Schneiderarbeiten, um sein Einkommen aufzubessern. Nach der Flucht zog er mit Micha nach Nordrhein-Westfalen.

  • Portrait Waleska Synowzik

    Waleska Synowzik (Mutter )

    Waleska Synwozik, geb. 1920, war Michas Mutter. Sie verstarb bereits 1955 an Tuberkulose. Micha liebte es, sie singen zu hören. In ihrer unmittelbaren Nähe sein, konnte er nicht: Wegen der Ansteckungsgefahr musste sie stets Distanz zu ihrem Ehemann und zu ihren Kindern halten.

  • Portrait Peter Synowzik

    Peter Synowzik (Bruder)

    Peter Synowzik, geb. 1942, war Michas sechs Jahre älterer Bruder. Aufgrund der schwierigen Beziehung zu seinem Vater Otto zog er bereits mit 18 Jahren in eine eigene Wohnung. Auf Wunsch des Vaters sollten Micha und Peter keinen Kontakt haben. Doch Micha besuchte ihn regelmäßig in dessen Wohnung. Mitte September 1961 flüchtete Peter mit dem Sohn der Nachbarin Tante Luzie nach West-Berlin – ohne das Wissen von Micha und Otto. Seine Flucht war für seinen Vater und Micha ausschlaggebend, selbst eine Flucht zu wagen. In der Bundesrepublik hatten die beiden aufgrund der zerrütteten Familienverhältnisse nur sporadisch Kontakt. Peter starb 1977.

  • Portrait Luzie W.

    Luzie W.

    Luzie W., geb. 1913, war die Nachbarin der Familie Synowzik und wohnte zusammen mit ihrem erwachsenen Sohn Wilfried ebenfalls in der Reinhardtstraße 47. Sie war Witwe und mit Michas Vater Otto liiert. Als enge Vertraute der Familie war sie für Micha wie eine Ersatzmutter. Sie machte sich zusammen mit Micha und Otto auf den Weg in den Westen. Michas Vater hatte ihr in Aussicht gestellt, sie im Westen zu heiraten. Doch nach der geglückten Flucht entschied sich Otto dagegen und enttäuschte damit nicht nur sie, sondern auch Micha zutiefst. Ihre Wege trennten sich und Luzie W. zog nach West-Berlin.

  • Silhouette Oberkörper männlich

    Wilfried W.

    Wilfried W., geb. 1940, war der erwachsene Sohn von Luzie W. und wohnte mit ihr ebenfalls in der Reinhardtstraße 47. Mit Micha und dessen großem Bruder Peter pflegte er eine enge Freundschaft. Am 16. September 1961 floh er gemeinsam mit Peter durch die Kanalisation nach West-Berlin.

  • Portrait Helmut M.

    Helmut M.

    Helmut M., geb. 1936, war ein Freund von Peter Synowzik. Sie kannten sich aus einem Jugendwohnheim. Er wollte eigentlich mit Peter und Wilfried in den Westen fliehen, diese hauten aber ohne ihn ab. Nach ihrem Verschwinden informierte er Peters Vater und drängte ihn, zusammen ebenfalls eine Flucht zu wagen. In der Zeit der Fluchtvorbereitung wurde er sexuell übergriffig gegen Micha. Beim zweiten Fluchtversuch wurde Helmut von der Volkspolizei gefasst. In den Vernehmungen durch die Stasi berichtete er über Peter und Wilfried sowie über seinen geplanten Fluchtweg. Micha und die anderen verriet er aber nicht. Im Januar 1962 wurde er zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt. Nach seiner Haftentlassung wohnte er zunächst in Thüringen und dann in Ost-Berlin, bevor er in die Bundesrepublik ausreiste. Seit 1979 lebte auch er in Nordrhein-Westfalen. Micha sah ihn nie wieder.

  • Portrait Margit B.

    Margit B.

    Margit B. war Michas Schulfreundin, die beiden kannten sich seit der zweiten Klasse. Sie hatten keine Geheimnisse voreinander und so weihte Micha sie kurz vor der Flucht sogar in ihre Absicht ein, Ost-Berlin zu verlassen. Sie zurückzulassen, schmerzte Micha sehr. Nach der Flucht schrieben sie sich anfangs noch Briefe, verloren sich dann jedoch aus den Augen. Margit heiratete Burkhard, Michas Spielkamerad. Nach dem Mauerfall nahmen Micha und sie wieder Kontakt auf und pflegte eine enge Freundschaft. Sie verfolgte dieses Projekt mit großem Interesse und starb kurz danach im Dezember 2023.

  • Silhouette Oberkörper männlich

    Burkhard E.

    Burkhard war ein Nachbar und Spielkamerad von Micha. Sie verbrachten viel Zeit zusammen und spielten in den Ruinen der Nachbarschaft. Burkhard wohnte im Vorderhaus der Reinhardtstraße 47. Auch ihn ließ Micha nur ungern zurück. Burkhard heiratete später Margit und lebte mit ihr bis zu ihrem Tod 2023 in Berlin. Seit dem Mauerfall standen beide wieder mit Micha in engem Kontakt und begleitete ihn bei der Aufarbeitung seiner Geschichte.

  • Portrait Jürgen

    Jürgen

    Jürgen war Michaels Schulfreund. Mit ihm verbrachte Michael auch die Zeit im Pionierlager im August 1961. Er hatte dort heimlich ein Radio behalten, durch das sie von der Grenzabriegelung erfuhren.

Glossar

Glossar

A

Langtext

Antifaschistischer Schutzwall
So wurde die Berliner Mauer im offiziellen politischen Sprachgebrauch in der DDR bezeichnet. Es ist ein Propaganda-Begriff, mit dem die SED-Regierung die unpopuläre Grenze zu rechtfertigen versuchte. Er verwies auf eine angeblich drohende faschistische Gefahr aus der Bundesrepublik und eine militärische Bedrohung aus dem Westen, vor der die DDR geschützt werden müsse. Der Begriff setzte sich im alltäglichen Sprachgebrauch der DDR-Bevölkerung nie durch. Seit Mitte der 1970er Jahre taucht er auch im offiziellen Sprachgebrauch weniger auf und wird durch "Staatsgrenze" ersetzt.
Weitere Infos

B

Langtext

Betriebskampfgruppen
Betriebskampfgruppen – offiziell Kampfgruppen der Arbeiterklasse – waren eine paramilitärische Organisation von Beschäftigten aus staatlichen Betrieben und Einrichtungen in der DDR. Ihre Mitglieder trafen sich mehrmals im Jahr in ihrer Freizeit (oft an Freitagen oder Wochenenden) zu militärischen Übungen und Schulungen. Sie sollten im Verteidigungsfall die Streitkräfte unterstützen und auch bei Aufständen in der DDR zum Einsatz kommen. Der größte Einsatz der Kampfgruppen erfolgte beim Bau der Berliner Mauer 1961, als unter anderem Betriebskampfgruppen einzelne Abschnitte der Grenze sicherten.

Bundesrepublik Deutschland, BRD
Die Bundesrepublik Deutschland ging 1949 nach dem Zweiten Weltkrieg aus den drei westlichen Besatzungszonen (Frankreich, Großbritannien und USA) hervor. Die Bundesrepublik stand im Kalten Krieg auf Seiten der Westmächte. Die Abkürzung BRD wurde durch einen Beschluss der Bundes- und Landesregierungen 1974 im amtlichen Gebrauch untersagt. Man fürchtete, dass er den Begriff "Deutschland" und somit die Teilung des Landes aus dem öffentlichen Bewusstsein verdränge. Seit der Wiedervereinigung wird die Abkürzung wieder offiziell benutzt.

D

Langtext

Deutsche Demokratische Republik, DDR
Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) wurde 1949 nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone gegründet und war eine von der Sowjetunion abhängige Diktatur. Sie umfasste das Gebiet der heutigen Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie Ost-Berlin. Am 3. Oktober 1990 traten diese der Bundesrepublik bei (Wiedervereinigung).

F

Langtext

Freie Deutsche Jugend (FDJ)
Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) war die Jugendorganisation der DDR. Sie war nach dem sowjetischen Vorbild aufgebaut und sollte die Jugendlichen an Staat und Partei binden. Wer FDJ-Mitglied war, genoss gewisse Privilegien in der Ausbildung oder bei der Berufswahl, musste aber dafür treu auf Linie sein.
Weitere Infos

G

Langtext

Genosse
Der Begriff Genosse ist eine Anrede, um auf Gleichgesinnte oder Mitglieder derselben politischen Partei oder Organisation hinzuweisen. In kommunistischen oder sozialistischen Bewegungen wird Genosse oft als respektvolle Anrede unter Parteimitgliedern verwendet, um Solidarität und Gleichheit innerhalb der Partei zu betonen.

Grenze    
Bereits 1952 riegelte die DDR die innerdeutsche Grenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik ab. Erste Sperrmaßnahmen gab es auch zwischen West-Berlin und der DDR. Nur zwischen Ost- und West-Berlin war die Sektorengrenze in den 1950er Jahren noch relativ leicht passierbar, sodass viele Fluchtwillige diesen Weg nutzten. Am 13. August 1961 sperrte die DDR dann schließlich auch diese Grenze und ließ sie innerstädtisch mit einer Mauer befestigen – im Gegensatz zu den Grenzzäunen an der innerdeutschen Grenze und zum Teil am Außenring von West-Berlin.

Grenzpolizei    
Die Deutsche Grenzpolizei wurde 1946 auf Befehl der sowjetischen Besatzungsmacht gegründet und hatte die Aufgabe, die Grenzen zu überwachen – zunächst die Demarkationslinie zu den anderen Besatzungszonen, später die Grenzen der DDR. Die Einsatzkräfte sollten Schmuggel und unerlaubte Grenzübertritte verhindern. In den 1950er Jahren war sie zeitweise dem Ministerium für Staatssicherheit zugeordnet. Wenige Wochen nach dem Bau der Berliner Mauer wurde die Grenzpolizei als Grenztruppen der Nationalen Volksarmee unterstellt.
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Grenzposten, Grenzer    
Hierbei handelt es sich um Sammelbegriffe für Angehörige der Grenzpolizei bzw. nach August 1961 der Grenztruppen. Sie wurden zur Bewachung der DDR-Grenze eingesetzt, vor allem an der Grenze zur Bundesrepublik und West-Berlin. Ihre Hauptaufgabe war es, Fluchtversuche zu verhindern. Die Grenzsoldaten hatten den Befehl, Flucht unter allen Umständen zu verhindern, in letzter Konsequenz unter Anwendung der Schußwaffe (Schießbefehl).

H

Langtext

Honecker, Erich    
Erich Honecker war ein deutscher kommunistischer Politiker. Im Jahr 1971 trug er zum Sturz von Walter Ulbricht bei und wurde zu dessen Nachfolger als Erster Sekretär des Zentralkomitees der SED gewählt. Das Amt des Staatsratsvorsitzenden konnte er erst 1976 übernehmen, stand dann aber endgültig an der Spitze von Partei und Staat. Schon zuvor hatte er wichtige Schritte beim Aufbau der SED-Diktatur gelenkt: So war er 1946 Mitbegründer der Massenorganisation "Freie Deutsche Jugend" (FDJ). 15 Jahre später war er einer der maßgeblichen Organisatoren beim Bau der Berliner Mauer. In dieser Funktion trug er den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze und an der Berliner Mauer mit. 1989 wurde er entmachtet.
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K

Langtext

Kalter Krieg    
Der Begriff „Kalter Krieg“ steht für den Jahrzehnte andauernden Ost-West-Konflikt ab 1946/47. In dieser Zeit waren im Zuge der wachsenden Spannungen zwischen den Siegermächten USA und Sowjetunion ein östliches Lager mit sozialistischen Staaten unter Führung der Sowjetunion und ein westliches Lager mit kapitalistischen Staaten unter Führung der USA entstanden. Beide versuchten, sich im Wettkampf um das „bessere“ politische System zu übertrumpfen. Durch Aufrüstung und Stellvertreterkriege kam es dabei immer wieder zu brenzligen Situationen. Der Kalte Krieg gilt seit der Transformation der sozialistischen Staaten 1989-91 als beendet.
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L

Langtext

Lichtspielhaus    
Ein veraltetes Wort für Kino. Kurz vor dem Mauerbau gab in Berlin unzählige Lichtspielhäuser im Ost- und Westteil der Stadt, wenn auch zum Teil nur mit einem kleinen Saal und einer Bar. Für die Menschen in Ost-Berlin spielten vor allem die sogenannten Grenzkinos in West-Berlin eine besondere Rolle, die leicht erreichbar an der Sektorengrenze lagen, westliche Filme anboten und den Eintritt 1:1 in Ostgeld gewährten.

M

Langtext

Mauerbau, Mauer    
Am 13. August 1961 riegelte die DDR die Sektorengrenze in Berlin ab – zunächst mit Stacheldraht, nach wenigen Tagen mit einer Mauer aus großen Betonteilen und Hohlblocksteinen. Die SED-Regierung wollte so die Fluchtbewegung aus der DDR stoppen und zugleich die Souveränität ihres Staates demonstrieren. Doch die Mauer konnte die Menschen in der DDR nicht vollends davon abhalten, das Land zu verlassen. Über 200.000 gelang nach 1961 eine Flucht aus der DDR, über 570.000 durften – oft nach Drangsalierungen und Repressionen – ausreisen.
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Ministerium für Staatssicherheit (MfS), Stasi    
Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), umgangssprachlich die Stasi, war der geheime Nachrichtendienst und die politische Geheimpolizei der DDR. Zudem führte es auch strafrechtliche Untersuchungen, vor allem in politischen Strafsachen. Die in demokratischen Staaten übliche Trennung von Polizeiarbeit, staatsanwaltschaftlichen und sogar richterlichen Aufgaben gab es in der DDR daher nicht. Denn auch die Gerichtsurteile waren in politischen Fällen durch das MfS gesteuert. Das MfS sah sich als "Schild und Schwert der Partei" und unterstand auch nur der Kontrolle durch die Parteiführung der SED. Mit seinen hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern überwachte es in erster Linie die Bürgerinnen und Bürger und sicherte so die SED-Herrschaft.
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N

Langtext

Nationale Volksarmee (NVA)    
Die Nationale Volksarmee war die offizielle Streitkraft der DDR. Nach ihrer Gründung 1956 war sie zunächst eine Freiwilligenarmee, im Januar 1962 wurde dann die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Die NVA unterstand der SED-Regierung. Die Soldaten mussten der SED bedingungslosen Gehorsam schwören und wurden laufend politisch geschult und auf das Feindbild des "imperialistischen Westens" eingeschworen. Ein Recht auf Wehrdienstverweigerung gab es nicht, aber ab 1964 zumindest die Möglichkeit, als Bausoldat den Wehrdienst ohne Waffe abzuleisten.
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Notaufnahmelager Marienfelde
Zwischen 1949 bis 1990 verließen etwa vier Millionen Menschen die DDR in Richtung Bundesrepublik. Das Notaufnahmelager Marienfelde in West-Berlin war für 1,35 Millionen von ihnen die erste Anlaufstelle im Westen. Hier wurden sie untergebracht und durchliefen das Aufnahmeverfahren, um eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Zwar konnten Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR auch nach einer Ablehnung in der Bundesrepublik bleiben, Eingliederungshilfen bekamen aber nur Personen, die als politische Flüchtlinge anerkannt waren. Eine der ersten Stationen im Aufnahmeverfahren waren die westalliierten Geheimdienste, die die Ankommenden eingehend befragten. Heute werden hier immer noch Geflüchtete aus aller Welt untergebracht. Auf dem Gelände befindet sich auch die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde.
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P

Langtext

Pionier, Jungpionier, Thälmannpionier, Pionierarbeit, Pionierorganisation, Pioniertuch
Die Jungen Pioniere waren in der DDR eine politische Massenorganisation für Kinder. Die Mitgliedschaft war formal freiwillig, Nichtmitglieder mussten aber mit Benachteiligungen rechnen. So waren Ende der 1950er Jahre mehr als 50% aller Schulkinder Mitglied, ab den 1960er/1970er Jahren fast alle Kinder im Alter von 7 bis 14 Jahren. Ab der ersten Klasse zählten die Mitglieder zuerst zu den Jungpionieren und ab der vierten Klasse dann zu den Thälmann-Pionieren. In der siebten Klasse folgte dann der Eintritt in die Freie Deutsche Jugend (FDJ). Der SED-Regierung übte auf diesem Wege schon früh Kontrolle auf den jungen Teil der DDR-Bevölkerung aus. Die Pionierorganisation sorgte für regelmäßige Freizeitangebote, wie Pioniernachmittage, besondere Aktionen und Ferienlager. Dabei fehlte es nicht an vormilitärischen Übungen. Erkennungszeichen der Jungen Pioniere war das blaue Halstuch, das bei den regelmäßigen Pioniernachmittagen, in den Schulen an Tagen mit Fahnenappell und an einigen sozialistischen Feiertagen getragen wurde. Zweck des Halstuchs war es, die Zugehörigkeit und das Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Gruppe zu stärken.
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Pionierlager    
Pionierlager waren Ferienlager für Mitglieder der Pionierorganisation und dauerten meist 18 Tage. Sie dienten der "sozialistischen Erziehungsarbeit" außerhalb der Schule. Es gab Pionierferienlager in der gesamten DDR verteilt, 1989 waren es 49. Zudem gab es noch hunderte Ferienlager aller größeren Betriebe der DDR für die Kinder der Betriebsangehörigen.
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R

Langtext

Republikflüchtlinge, Republikflucht    
Republikflüchtlinge wurden in der DDR Menschen genannt, die ohne Genehmigung aus der DDR in die Bundesrepublik oder in andere westliche Länder gingen. Es handelt sich um einen abwertenden Begriff, den die SED nutzte, um den Wunsch nach Freizügigkeit zu diskreditieren und zu kriminalisieren. Es gab verschiedene Gründe, warum Menschen in der DDR ihr Land verlassen wollten. Dazu zählten beispielweise Unzufriedenheit mit dem politischen System, die Hoffnung auf ein besseres Leben im Westen oder persönliche Beziehungen. Bis zum Sommer 1961 flohen circa 3 Mio. Menschen aus der DDR. Erst mit dem Bau der Berliner Mauer wurde der Flüchtlingsstrom drastisch reduziert, jedoch nicht komplett unterbrochen. Weiterhin unternahmen Menschen – teils unter lebensgefährlichem Einsatz – Versuche, die DDR zu verlassen.
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Rundfunk im amerikanischen Sektor, RIAS, Westradio    
Der RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) war eine Rundfunkanstalt in West-Berlin. Er wurde von der US-amerikanischen Militärregierung initiiert und sendete zunächst Radiobeiträge, später wurde er durch ein Fernsehprogramm ergänzt. Da auch Ost-Berliner die Sender empfangen konnten, wurden sie bald zu einer wichtigen, aber von der SED-Führung verurteilten Informationsquelle. Die Menschen in Ost-Berlin und in Teilen der DDR konnten so Informationen und Nachrichten erhalten, die in der DDR zensiert oder verzerrt dargestellt wurden. Die SED-Regierung erklärte den RIAS in den 1950er Jahren zu einer "Spionage-, Sabotage- und Verbrecherorganisation".

S

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Schießbefehl    
Hinter dem Begriff „Schießbefehl“ stehen die Anweisungen an die Grenzposten, an der Berliner Mauer und an der innerdeutschen Grenze auf Flüchtlinge scharf zu schießen. Schon im September 1961 gab Erich Honecker, SED-Politbüromitglied und zuständig für die Maßnahmen zur Grenzabriegelung, die Weisung, dass "gegen Verräter und Grenzverletzer (...) die Schusswaffe anzuwenden" sei. Die Grenzposten erhielten bis in die 1980er Jahre vor jedem Einsatz den mündlichen Befehl "Grenzverletzer sind festzunehmen oder zu vernichten." Später haben SED-Funktionäre die Existenz eines „Schießbefehls“ immer wieder bestritten. Erschießungen an der Grenze wurden gegenüber der Öffentlichkeit und auch gegenüber den Angehörigen der Todesopfer verheimlicht. Die Grenzer erhielten aber eine Belohnung für vereitelte Fluchten.
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Schlüsselkind    
Schlüsselkind hieß ein Kind, das nach Schulschluss selbstständig nach Hause ging und ohne weitere Betreuung blieb. Der Begriff spielt darauf an, dass solche Kinder meist einen eigenen Wohnungsschlüssel besaßen, der sichtbar um den Hals getragen wurde, damit das Kind ihn nicht verlor.

Sektorengrenze    
Deutschland und auch Berlin wurden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in einen amerikanischen, einen britischen, einen französischen und einen sowjetischen Sektor aufgeteilt. Ihre Grenze hieß offiziell Sektorengrenze. Daran hielten die Westalliierten und die Bundesrepublik auch nach dem Mauerbau fest. So verdeutlichten sie, dass sie die innerdeutsche Grenze und vor allem die Berliner Mauer nicht als finale Grenze anerkannten.

Sozialismus    
Der Sozialismus ist eine politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Weltanschauung, die im Allgemeinen auf eine solidarische Gesellschaft und die gemeinschaftliche Kontrolle der Produktionsmittel abzielt. Sozialismus soll soziale Ungleichheit reduzieren und eine gerechte Verteilung von Ressourcen erreichen. Es gibt verschiedene Strömungen des Sozialismus, die sich in ihren Ansätzen und Zielen unterscheiden können.
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Sozialistische Einheitspartei, SED    
Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands war die Staats- und Regierungspartei der DDR. Sie entstand 1946 auf Befehl der Sowjetunion durch eine erzwungene Vereinigung der sozialdemokratischen SPD und der kommunistischen KPD. Sie war seit Gründung der DDR 1949 bis zur friedlichen Revolution 1989 die herrschende Partei und dominierte die Politik, die Wirtschaft und Gesellschaft in der DDR in allen Bereichen. Den Alleinführungsanspruch ließ sie 1968 in der Verfassung der DDR verankern.
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T

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Todesstreifen    
Der Grenzstreifen entlang der innerdeutschen Grenze und der Grenze rund um West-Berlin wurde im Westen als Todesstreifen bezeichnet, weil dort viele Menschen bei der Flucht getötet wurden. Der Todesstreifen bestand aus verschiedenen Elementen zur Grenzsicherung, darunter Stacheldrahtzäunen, Mauern, Fahrzeugsperren und Wachtürmen. An der innerdeutschen Grenze wurden auch Erdminen und Selbstschussanlagen verbaut. Zur tödlichen Zone wurde der Grenzstreifen aber vor allem durch die Grenzsoldaten, die den Befehl hatten, auf Flüchtende zu schießen (Schießbefehl).
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U

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Ulbricht, Walter    
Walter Ulbricht war ein deutscher kommunistischer Politiker, Mitbegründer der KPD und prägte seit 1945 auf Weisung der Sowjetunion den Aufbau der DDR. Nach der Gründung der DDR 1949 wurde er zunächst der Stellvertreter des Ministerpräsidenten. Ein knappes Jahr später wurde er aber zum Vorsitzenden des neu geschaffenen Zentralkomitees (ZK) gewählt und gewann so die eigentliche Macht im Staat. Als 1960 das Amt des Präsidenten der DDR abgeschafft wurde und stattdessen ein Staatsrat als kollektives Staatsoberhaupt fungierte, baute Ulbricht durch das Amt des Staatsratsvorsitzenden seine Macht aus. Ulbricht trieb 1961 maßgeblich die Grenzabriegelung voran und ließ sie nach Einwilligung der Sowjetunion umsetzen. 1971 – zwei Jahre vor seinem Tod – wurde er von seinem Nachfolger Erich Honecker abgesetzt.
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V

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Viermächte-Status    
Die gemeinsame Verantwortung der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs – USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich – für Deutschland als Ganzes und für Berlin wird als Viermächte-Status bezeichnet. Ein Alliierter Kontrollrat mit Sitz in Berlin sollte als oberste Besatzungsbehörde eine einheitliche Besatzungspolitik gewährleisten. Im Zuge des beginnenden Kalten Kriegs verließ die Sowjetunion 1948 aber zunächst den Kontrollrat und dann die Alliierte Kommandantur, die aus den vier Stadtkommandanten der Besatzungsmächte in Berlin bestand. Der Kontrollrat setzte danach seine Tätigkeit praktisch aus. In Berlin blieb die Alliierte Kommandantur bestehen, ihre Entscheidungen galten aber nur für die drei westlichen Sektoren und standen unter dem Vorbehalt der Rechte, die alle vier Besatzungsmächte für Berlin hatten. Die Sowjetunion stellte den Viermächte-Status von Berlin mehrfach in Frage, so auch im Rahmen des Mauerbaus 1961. Die Westmächte hielten aber bis 1990 daran fest.

Volkspolizei, VoPo, Volkspolizist    
Die Polizei der DDR hieß Volkspolizei (VP), ihre Angehörigen nannte man verkürzt VoPo(s). Einerseits hatte die Volkspolizei klassische polizeiliche Aufgaben (Kriminal-, Schutz- und Verkehrspolizei), andererseits arbeitete sie eng mit der Stasi zusammen, die als politische Geheimpolizei agierte. Oft diente die VP der Stasi als Erfüllungsgehilfin, u.a. bei Kontrollmaßnahmen gegenüber der Bevölkerung, bei Maßnahmen gegen Ausreisewillige und repressiven Großaktionen.
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W

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Westmächte, Westalliierte    
Unter den Westmächten versteht man die drei westlichen Siegermächte nach dem Zweiten Weltkrieg: Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerika. Im Kalten Krieg standen sie zusammen gegen die Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten.

Westmedien
Der Konsum von Westmedien war für Menschen in der DDR verboten und konnte sogar mit einer Gefängnisstrafe geahndet werden. Trotzdem hat der Großteil der Ostdeutschen Westmedien genutzt, um unzensiert Informationen zu erhalten, aber auch zu Unterhaltungszwecken.
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Z

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Zone, Sowjetzone
Mit Begriffen wie "Zone" und "Sowjetzone" wurde im Westen die sowjetische Besatzungszone abfällig bezeichnet, auch nach der Gründung der DDR 1949. Die Nutzerinnen und Nutzer der beiden propagandistischen Begriffe ließen so erkennen, dass sie die Staatsgründung der DDR nicht anerkannten.

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